Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
versucht es gar nicht erst. Stattdessen weicht er nach links zurück, was wiederum bewirkt, dass er fast unerträglichen Druck auf seine Schulter und das linke Handgelenk ausübt, das durch die Handschelle festgehalten wird.
»Was …«, ruft der Alte, aber dann hat Ty tastend gefunden, was er gesucht hat: den lose herabbaumelnden Hodensack des Alten. Er drückt ihn mit aller Kraft zusammen. Er spürt, wie die Hoden des Ungeheuers zusammengequetscht werden; er spürt, wie einer platzt und anschließend erschlafft. Ty stößt einen lauten Schrei aus, in dem sich Angst und Entsetzen und wilder Triumph mischen.
Burny, den dieser Angriff völlig überrumpelt hat, heult auf. Er will zurückzuweichen, aber Ty hält ihn wie eine Harpyie gepackt. Seine Hand – so klein, so unfähig (sollte man glauben) zu ernstlicher Verteidigung – hat sich in eine Klaue verwandelt. Wenn es je einen Augenblick gegeben hat, in dem der Elektroschocker angewendet werden müsste, ist er jetzt gekommen … aber in seiner Überraschung hat Burny ihn fallen lassen. Das Ding liegt jetzt auf dem festgetretenen, blutgetränkten Erdreich des Hüttenbodens.
»Lass mich los! Das tut weh! Das tuuut …«
Bevor der Alte seinen Aufschrei beenden kann, reißt Ty an dem schwammigen, erschlaffenden Sack in der alten Baumwolljeans; er zerrt ihn mit der Kraft, die einem nur Panik verleihen kann, nach vorn, bis dort drinnen irgendetwas reißt . Burnys Worte gehen in neuerlichem Schmerzgeheul unter. Die Schmerzen sind heftiger, als er sich je hätte vorstellen können … jedenfalls nie in Verbindung mit sich selbst .
Aber das genügt noch nicht. Judys Stimme sagt, dass es nicht reicht, aber Ty würde es vielleicht ohnehin wissen. Er hat den Alten zwar verletzt – ihm etwas beigebracht, was Ebbie Wexler zweifellos als »gottverdammten Bruch« bezeichnen würde -, aber es genügt nicht.
Er lässt los und dreht sich um die gefesselte Hand herum weiter nach links. Im Halbdunkel sieht er den Alten vor sich schwanken. Hinter ihm steht vor der offenen Hüttentür der Golfwagen, der sich von einem Himmel voller Wolken und brennendem Rauch abhebt. Die Augen des alten Ungeheuers sind weit aufgerissen und starren ihn voller Tränen an. Ungläubig glotzt er den kleinen Jungen an, der ihm das angetan hat.
Bald wird er begreifen, was geschehen ist. Dann ist vorauszusehen, dass Burny eines der Messer – oder vielleicht eine der Fleischgabeln – von der Wand reißen wird, um seinen angeketteten Gefangenen damit zu erstechen, wobei er ihn mit Flüchen und Verwünschungen überhäufen und als Affen, Hundesohn und verfluchte Arschgeige beschimpfen wird. Jeglicher Gedanke an Tys spezielle Begabung wird verflogen sein. Auch jegliche Angst, was Burny selbst zustoßen könnte, wenn er Mr. Munshun – und dem Abbalah – diesen kostbaren Jungen raubt, wird verflogen sein. Burny ist in Wirklichkeit nichts als eine psychotische Bestie, und im nächsten Augenblick wird seine wahre Natur hervorbrechen und sich an diesem wehrlosen Kind austoben.
Tyler Marshall, der Sohn Freds und der furchtlosen Judy, gibt Burny diese Gelegenheit nicht. Auf der letzten Etappe ihrer Fahrt hat er mehrmals darüber nachgedacht, was der Alte über Mr. Munshun gesagt hat – er hat mir weh getan, hat an meinem Gedärm gezerrt -, und auf eine Chance gelauert, ebenfalls daran zerren zu können. Jetzt ist sie da. An der Handschelle hängend, die ihm den linken Arm schmerzhaft hochzieht, stößt er die rechte Hand nach vorn. Durch den Schlitz im Hemd des Alten. Durch das Loch in der Bauchdecke, das Henry mit seinem Springmesser gemacht hat. Plötzlich berührt Tys Hand etwas Glitschiges von der Stärke eines dicken Taus. Er packt es und zieht eine Schlaufe von Charles Burnsides Gedärm durch den Hemdschlitz heraus.
Burny hebt das Gesicht ruckartig in Richtung Hüttendecke. Seine Backenknochen verkrampfen sich, die Sehnen an seinem faltigen alten Hals treten hervor, und schließlich stößt er einen gellenden Schmerzensschrei aus. Er versucht zurückzuweichen, was aber vielleicht das Dümmste ist, was man tun kann, wenn einen jemand an den Eingeweiden gepackt hält. Eine blaugrüne Darmschlinge, prall wie eine Wurst und möglicherweise immer noch damit beschäftigt, Burnys letzte Mahlzeit aus der Maxton-Speisesaal zu verdauen, glitscht mit einem hörbaren Ploppen wie ein Korken aus einer Champagnerflasche heraus.
Charles »Chummy« Burnsides letzte Worte sind: »Lass los, du kleines
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