Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus
schemenhaften Wesen im Unterholz verschwinden.
Vor Jacks innerem Auge erscheinen plötzlich Bilder seiner Mutter: Lily, wie sie tanzt. Lily, die vor einer großen Szene mit einer Zigarette im Mundwinkel hinter einer der Kameras auf und ab geht. Lily, die aus dem Wohnzimmerfenster sieht, während Patsy Cline »Crazy Arms« singt. Die einschlägigen Zeitschriften hatten sie zur Königin der B-Movies ernannt.
In einer anderen Welt wiederum war sie natürlich eine andere Art Königin gewesen, und was wäre eine Königin ohne ein loyales königliches Gefolge?
Jack Sawyer betrachtet die immense Bienenwolke – Millionen von Bienen, vielleicht sogar Milliarden; jeder Bienenstock im Mittleren Westen muss heute Nachmittag verlassen daliegen -, und er lächelt. Weil sich dadurch die Form seiner Augen verändert, laufen ihm nun die Tränen, die sich darin angesammelt haben, übers Gesicht. Hallo , denkt er. Hallo, Jungs.
Das leise, angenehme Summen der Bienen scheint sich kurzfristig zu verändern, so als antworteten sie ihm. Aber vielleicht bildet er sich das nur ein.
»Was haben die denn vor, Jack?«, fragt Beezer. In seiner Stimme schwingt tiefe Ehrfurcht mit.
»Weiß ich selbst nicht genau«, sagt Jack. Er dreht sich nach der Haustür um, hebt den Baseballschläger und versetzt dem Türblatt damit einen kräftigen Schlag. »Öffne dich!«, ruft er. »Ich fordere es im Namen von Königin Laura DeLoessian! Und im Namen meiner Mutter!«
Im nächsten Augenblick ertönt ein hoher Knall, der so laut und durchdringend ist, dass Dale und Beez zusammenfahren und unwillkürlich einen Schritt zurückweichen. Beezer hält sich sogar die Ohren zu. Am oberen Türrand tut sich ein Sprung auf, der sich blitzschnell von links nach rechts ausbreitet.
An der oberen rechten Ecke biegt er ab, eilt dann nach unten und erzeugt auf diese Weise einen Spalt, aus dem schließlich ein moderiger Lufthauch strömt. Jack steigt ein Geruch in die Nase, der säuerlich und vertraut zugleich ist: jener Todesgeruch, der ihnen auch aus Ed’s Eats entgegengeschlagen ist.
Jack greift nach dem Türknauf. Der Knauf lässt sich mühelos nach links drehen. Und so öffnet er ihnen den Weg ins Black House.
Bevor er die anderen zum Eintreten auffordern kann, beginnt Doc Amberson jedoch zu kreischen.
Irgendjemand – vielleicht Ebbie, vielleicht T. J., vielleicht auch der dämliche alte Ronnie Metzger – reißt Ty am Arm. Es tut verdammt weh, was aber längst nicht das Schlimmste daran ist. Der Armreißer gibt dabei nämlich ein unheimliches Summen von sich, das Ty tief im Kopf zu vibrieren scheint. Gleichzeitig ist auch ein Scheppern zu hören
(die Große Kombination, das ist die Große Kombination)
aber dieses Summen …! Mann, dieses Summen tut echt weh .
»Lass das«, murmelt Ty. »Lass das, Ebbie, sonst …«
Leise Schreie scheinen durch dieses elektrische Summen zu sickern. Ty Marshall öffnet die Augen. Es gibt keine barmherzige Gnadenfrist, in der er nicht recht weiß, wo er ist oder was ihm zugestoßen ist. Alles stürmt sofort mit der Gewalt eines Schreckensbilds auf ihn ein – ähnlich wie bei einem Verkehrsunfall, bei dem Tote herumliegen -, mit dem man konfrontiert wird, bevor man wegsehen kann.
Er hatte nicht losgelassen, bis der Alte tot war; er hatte der Stimme seiner Mutter gehorcht und einen klaren Kopf behalten. Aber als er angefangen hatte, um Hilfe zu rufen, war die Panik zurückgekehrt und hatte ihn verschlungen. Vielleicht war es auch der Schock gewesen. Oder beides. Jedenfalls war er nach Hilfe schreiend ohnmächtig geworden. Wie lange hatte er bewusstlos an seinem gefesselten linken Arm gehangen? Das durch die Hüttentür einfallende Licht liefert keinen Hinweis darauf; alles erscheint unverändert. Das gilt auch für das Scheppern und Ächzen der riesigen Maschine, und Ty begreift, dass diese Maschine unaufhörlich läuft, dass die Schreie der
Kinder und das Knallen der Peitschen niemals verstummen, während die unbeschreiblichen Aufseher alle ständig zur Arbeit anheizen. Die Große Kombination steht nie still. Sie läuft von Blut und Terror getrieben und kennt keinen Ruhetag.
Aber dieses Summen – dieses satte elektrische Summen wie vom größten Elektrorasierer der Welt -, was zum Teufel ist das?
Mr. Munshun ist unterwegs, um die Einschienenbahn zu holen . Burnys Stimme in seinem Kopf. Ein widerwärtiges Flüstern . Die Endwelt-Mono.
Schreckliche Verzweiflung erfasst Ty am Herzen. Er hat nicht den geringsten Zweifel
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