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Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus

Titel: Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stephen;Straub King
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sein, diese Hütte und ihre nähere Umgebung zu verlassen. Ty Marshall, der sich auf zitternden Beinen wie ein Unfallopfer bewegt, das nach langem Krankenhausaufenthalt zum ersten Mal wieder aufsteht, steigt über Burnys ausgestreckt daliegenden Leichnam hinweg und tritt ins Freie. Der Tag ist düster, die Landschaft ist steril, und selbst hier beherrscht der scheppernde Turmbau aus Schmerzen und Plackerei die Aussicht, aber trotzdem empfindet Ty ungeheure Freude darüber, nur wieder im Hellen zu sein. Frei zu sein. Erst als er mit der Hütte hinter sich dasteht, wird ihm wirklich bewusst, wie sicher er davon ausgegangen ist, hier zu sterben. Ty schließt für einen Moment die Augen und wendet das Gesicht dem grauen Himmel entgegen. Auf diese Weise sieht er die Gestalt nicht, die hinter einer Ecke der Hütte gestanden und klugerweise gewartet hat, um zu sehen, ob Ty noch die Mütze trägt, wenn er herauskommt. Sobald Lord Malshun – besser können wir seinen wahren Namen phonetisch nicht wiedergeben – sich davon überzeugt hat, tritt er vor. Sein groteskes Gesicht gleicht einem mit Haut bezogenen riesigen Vorlegelöffel. Das eine Auge quillt ungestalt hervor. Die roten Lippen sind zu einem Grinsen verzogen. Er schlingt die Arme um den Jungen, worauf Ty zu kreischen anfängt – nicht nur aus Angst und Überraschung, sondern auch aus Empörung . Er hat doch so schwer geschuftet, um freizukommen, so entsetzlich schwer.
    »Pst!«, flüstert Lord Malshun, und als Ty weiter wie wild kreischt (auf den oberen Ebenen der Großen Kombination wenden einige Kinder sich diesen Schreien zu, bis die brutalen
Ungeheuer, die als Aufseher fungieren, sie mit Peitschenhieben an ihre Pflicht erinnern), spricht der Bevollmächtigte des Abbalah ein einziges Wort in Dunkler Sprache: » Pnung .«
    Ty erschlafft. Hielte Lord Malshun ihn nicht von hinten umklammert, würde Ty ganz zusammensacken. Aus dem sabbernden, schlaffen Mund des Kindes dringen weiter gutturale Protestlaute, aber seine Schreie sind verstummt. Lord Malshun neigt sein langes, löffelförmiges Gesicht der Großen Kombination zu und grinst. Das Leben meint es gut mit ihm! Dann wirft er einen Blick in die Hütte – kurz nur, aber sehr interessiert.
    »Hat ihn glatt erledigt«, sagt Lord Malshun. »Und das mit aufgesetzter Mütze. Erstaunlicher Junge! Der König will dich übrigens persönlich kennen lernen, bevor du nach Din-tah geschickt wirst. Vielleicht lädt er dich ja zu Kaffee und Kuchen ein. Stell dir das mal vor, junger Tyler! Kaffee und Kuchen mit dem Abbalah! Kaffee und Kuchen mit dem König!«
    »… will nicht hin … will heim … meiner Mamaaa …« Diese Worte quellen ihm leise und stockend aus dem Mund wie Blut aus einer tödlichen Wunde.
    Lord Malshun fährt Ty mit einem Finger über die Lippen, die sich unter dieser Berührung fest verschließen. »Pst!«, macht der Talentsucher des Königs wieder. »Nur wenige Dinge im Leben sind lästiger als ein lärmender Reisegefährte. Und wir haben wahrlich eine lange Reise vor uns. Weit fort von deiner Heimat und deinen Freunden und Angehörigen … ach, nur nicht weinen.« Lord Malshun hat die Tränen bemerkt, die dem hilflosen Jungen aus den Augenwinkeln quellen und über die glatten Wangen laufen. »Nicht weinen, kleiner Ty. Du wirst neue Freunde gewinnen. Zum Beispiel den Oberbrecher. All die Jungs mögen den Oberbrecher. Er heißt Mr. Brautigan. Vielleicht erzählt er dir ja Geschichten von seinen vielen Fluchten. Wie komisch die sind! Wirklich zum Totlachen! Aber jetzt müssen wir los! Kaffee und Kuchen mit dem König! Denk immer daran!«
    Lord Malshun ist untersetzt und ziemlich O-beinig (eigentlich sind seine Beine sogar ein gutes Stück kürzer als sein grotesk langes Gesicht), aber er ist stark. Er klemmt sich Ty unter
den Arm, als würde der Junge nicht mehr als zwei, drei zusammengelegte Bettlaken wiegen. Er sieht sich ohne großes Bedauern ein letztes Mal nach Burny um – im Staat New York lebt ein viel versprechender junger Bursche, und Burny war ja ohnehin ziemlich ausgebrannt.
    Lord Malshun legt den Kopf schief und stößt sein fast lautloses puffendes Lachen aus. Dann bricht er auf, aber nicht ohne Ty zuvor noch einmal die Mütze mit einem kräftigen Ruck fester über den Kopf zu ziehen. Der Junge ist mehr als nur ein Brecher; er ist der vielleicht mächtigste Brecher, der je gelebt hat. Zum Glück kennt er die in ihm wohnende Macht noch nicht. Wahrscheinlich würde gar nichts passieren, wenn

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