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Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus

Titel: Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stephen;Straub King
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warum, er tut’s halt einfach.«
    »Mit anderen Worten, man schnappt über«, sagt Henry. »Das war auch unser Ausgangspunkt, glaube ich.«
    »Damit meine ich«, sagt Jack, »dass Leute Wachträume haben können. Das, was dir gerade passiert. Kein Grund zur Sorge. Okay, da wären wir, du bist zu Hause.«
    Er biegt auf die mit Gras bewachsene Zufahrt ab und rollt bis vor das weiße Farmhaus, in dem Henry und Rhoda Leyden nach ihrer Hochzeit fünfzehn lebhafte Jahre verbracht haben, bis bei Rhoda Leberkrebs diagnostiziert wurde. Nach ihrem Tod war Henry noch fast zwei Jahre lang jeden Abend durchs Haus gewandert und hatte überall Licht gemacht.
    »Wachträume? Wo hast du das her?«

    »Wachträume sind nichts Ungewöhnliches«, sagt Jack. »Vor allem nicht bei Leuten, die wie du nie genug Schlaf bekommen.« Oder bei Leuten wie mir, fügt er im Stillen hinzu. »Das habe ich mir nicht nur ausgedacht, Henry. Ich habe selbst schon ein paar gehabt. Zumindest einen.«
    »Wachträume«, sagt Henry in verändertem, nachdenklichem Tonfall. »Klasse Idee.«
    »Denk darüber nach. Wir leben in einer rationalen Welt. Verstorbene stehen nicht von den Toten auf. Nichts geschieht ohne Grund, und die Gründe sind immer rational. Alles eine Frage der Chemie oder des Zufalls. Wären sie nicht rational, würden wir nie etwas herausbekommen und wüssten nie, was um uns herum geschieht.«
    »Das kann sogar ein Blinder sehen«, sagt Henry. »Danke. Beherzigenswerte Worte.« Er steigt aus und schließt die Beifahrertür. Er geht ein paar Schritte, kommt wieder zurück und lehnt sich durchs offene Fenster. »Wollen wir nicht heute Abend schon mit Bleak House anfangen? Ich müsste gegen halb neun oder so ähnlich heimkommen.«
    »Ich bin gegen neun Uhr da.«
    Zum Abschied sagt Henry: »Ding-dong.« Er wendet sich ab, geht zur Haustür und verschwindet in seinem Haus, dessen Tür natürlich unversperrt ist. Hierzulande schließen nur Leute, die Kinder haben, ihre Tür ab, und selbst das ist eine Neuerung.
    Jack stößt mit dem Pickup zurück, rollt die Zufahrt hinunter und fährt dann wieder auf die Norway Valley Road hinaus. Er hat das Gefühl, eine zweifach gute Tat getan zu haben, indem er Henry geholfen hat, hat er nämlich auch sich selbst geholfen. Eigentlich nett, wie die Dinge sich manchmal entwickeln.
    Als er auf die lange Zufahrt bei sich Zuhause abbiegt, kommt aus dem Aschenbecher unter dem Armaturenbrett ein merkwürdiges Scheppern. In der letzten Kurve, unmittelbar bevor das Haus in Sicht kommt, hört er es ein weiteres Mal. Das Geräusch ist weniger ein Scheppern als ein nicht sehr lautes, dumpfes Klappern. Ein Knopf, eine Münze – irgendwas in dieser Art. Er parkt neben dem Haus, stellt den Motor ab und
stößt schließlich die Fahrertür auf. Dann fällt ihm noch etwas ein; er beugt sich nach rechts und zieht den Aschenbecher heraus.
    Was Jack in die Bodenrillen dieses Schubfachs geschmiegt findet – ein winziges Rotkehlchenei von der Größe eines mandelförmigen Schokoladedrops -, verschlägt ihm förmlich den Atem.
    Das kleine Ei ist so blau, dass sogar ein Blinder es sehen könnte.
    Jack klaubt das Ei mit zitternden Händen aus dem Aschenbecher. Er starrt es an, steigt aus und schließt die Tür hinter sich. Während er es weiter anstarrt, denkt er endlich daran, wieder einmal zu atmen. Er dreht die Hand und gibt das Ei frei, das daraufhin senkrecht ins Gras fällt. Er hebt ganz bewusst einen Fuß und zerstampft diesen obszönen blauen Punkt. Ohne sich umzusehen, steckt er die Autoschlüssel ein und bewegt sich auf die zweifelhafte Sicherheit seines Hauses zu.

TEIL ZWEI
    Die Verschleppung Tyler Marshalls

5
    Auf unserer frühmorgendlichen Wirbelwindtour durch die Seniorenresidenz Maxton haben wir flüchtig einen Hausmeister gesehen – erinnern Sie sich zufällig? Ausgebeulter Overall? Ein bisschen dicklich um die Taille? Zigarette im Mundwinkel, obwohl auf den Korridoren der Wohntrakte alle fünf, sechs Meter Schilder mit RAUCHEN VERBOTEN! HIER ARBEITEN LUN-GEN! angebracht sind? Ein Mopp, der wie ein Klumpen toter Spinnen aussieht? Nein? Nur keine Entschuldigung. Es ist schon ziemlich leicht, Pete Wexler zu übersehen, diesen ehemals unscheinbaren Jugendlichen (Notendurchschnitt im Abschlusszeugnis der French Landing High School: 79 Punkte), der ein unscheinbares junges Mannesalter hinter sich hat und nun am Beginn seines voraussichtlich unscheinbaren mittleren Alters angelangt ist. Sein einziges Hobby besteht daraus,

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