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Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus

Titel: Das schwarze Haus - King, S: Schwarze Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Stephen;Straub King
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sein, um sie irrtümlich für Glenn Gould zu halten. Wer imstande war, diesen Fehler zu machen, konnte vermutlich auch den vibrationsähnlichen inneren Ton nicht hören, den ein Türgriff von General Motors von sich gab.
    Als sie vom Highway 93 auf die Norway Valley Road abbiegen, sagt Henry: »Hör auf zu schmollen. Ich hätte dich nicht Banause nennen sollen. Und ich hätte dir nicht vorwerfen sollen, ein Problem zu haben, weil ich nämlich derjenige bin, der ein Problem hat.«
    »Du?« Jack starrt ihn verblüfft an. Aus langer Erfahrung vermutet er sofort, dass Henry ihn um Hilfe in Form irgendwelcher inoffizieller Ermittlungen bitten will. Henrys Gesicht bleibt der Windschutzscheibe zugewandt, gibt nichts preis. »Was für ein Problem kannst du haben? Sind deine Socken durcheinander geraten? Oh … gibt’s Probleme mit einem der Sender?«
    »Damit käme ich schon klar.« Henry macht eine Pause, und die Pause dehnt sich zu längerem Schweigen aus. »Was ich sagen wollte, ist Folgendes: Ich habe das Gefühl, den Verstand zu verlieren. Ich glaube, ich drehe irgendwie durch.«

    »Ach komm!« Jack verringert den Druck aufs Gaspedal und fährt nur noch halb so schnell. Ist Henry Augenzeuge einer Federexplosion geworden? Natürlich ist er das nicht; Henry kann nicht sehen. Und seine eigene Federexplosion war ja auch nur ein Wachtraum.
    Henry bebt wie eine Stimmgabel. Sein Gesicht ist weiter der Windschutzscheibe zugewandt.
    »Erzähl mir, was los ist«, sagt Jack. »Ich fange langsam an, mir Sorgen um dich zu machen.«
    Henry öffnet den Mund zu einem schmalen Spalt, durch den man lediglich eine Hostie schieben könnte, dann schließt er ihn wieder. Ein weiteres Beben durchläuft ihn.
    »Hmm«, sagt er. »Das ist ja schwieriger, als ich dachte.« Erstaunlicherweise schwankt seine nüchterne, gleichmäßige Stimme, Henry Leydens wahre Stimme, mit einem bangen, hilflosen Vibrato.
    Jack verlangsamt den Pickup auf Kriechtempo, will etwas sagen, wartet dann aber doch lieber ab.
    »Ich höre meine Frau«, sagt Henry. »Nachts, wenn ich im Bett liege. Gegen drei, vier Uhr morgens. Rhodas Schritte sind in der Küche zu hören, sie kommen die Treppe herauf. Ich verliere anscheinend wirklich den Verstand.«
    »Wie oft passiert das?« »Wie oft? Das weiß ich nicht genau. Drei-, viermal die Nacht.«
    »Stehst du dann auf, um sie zu suchen? Rufst du ihren Namen?«
    Henrys Stimme ist wieder auf dem Vibrato-Trampolin unterwegs. »Ich habe schon beides getan. Weil ich mir sicher war, sie gehört zu haben. Ihre Schritte, ihre Art, sich zu bewegen, ihren Gang . Rhoda ist jetzt schon seit sechs Jahren tot. Ziemlich komisch, was? Ich würd’s jedenfalls komisch finden, wenn ich nicht das Gefühl hätte überzuschnappen.«
    »Du rufst also ihren Namen«, sagt Jack. »Und du stehst auf und gehst nach unten.«
    »Wie ein Geistesgestörter, wie ein Verrückter. ›Rhoda? Bist du’s, Rhoda?‹ Letzte Nacht bin ich durchs ganze Haus geirrt. ›Rhoda? Rhoda?‹ Als ob ich erwartet hätte, dass sie antworten
würde.« Henry achtet nicht auf die Tränen, die unter seiner Pilotenbrille hervorquellen und ihm übers Gesicht laufen. »Und ich hab’s erwartet, das ist das Problem.«
    »Außer dir war niemand im Haus«, sagt Jack. »Keine Anzeichen irgendwelcher Störungen. Nichts am falschen Platz oder verschwunden, nichts dergleichen.«
    »Nicht, so viel ich sehen konnte. Alles war noch dort, wo es sein sollte. Wo ich es zurückgelassen habe.« Er hebt eine Hand und wischt sich das Gesicht ab.
    Die Einfahrt, hinter der sich Jacks Zufahrt davonschlängelt, gleitet an der rechten Seite des Fahrerhauses vorbei.
    »Ich sag dir, was ich denke«, sagt Jack, während er sich vorstellt, wie Henry durch sein finsteres Haus irrt. »Vor sechs Jahren hast du die ganze Trauerarbeit leisten müssen, die notwendig ist, wenn ein geliebter Mensch stirbt und einen verlässt: das Nicht-wahrhaben-Wollen, die Versuche, dem Schicksal etwas abzutrotzen, den Zorn, den Schmerz, was auch immer, die resignierte Hinnahme – aber selbst danach hat dir Rhoda weiter gefehlt. Kein Mensch behauptet zwar jemals, dass die Menschen, die man einmal geliebt hat, einem auf Dauer fehlen, aber das tun sie trotzdem.«
    »Na, das ist ja tiefsinnig«, sagt Henry. »Und auch tröstlich.«
    »Unterbrich mich nicht. Manchmal passieren die verrücktesten Dinge. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede. Dein Verstand rebelliert. Er verfälscht die Tatsachen, macht unwahre Aussagen. Wer weiß,

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