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Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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Kollaboration mit dem atheistischen Staat verstricktes Bischofskollegium und eine beim Volk in Verruf geratene Priesterschaft.
    Es gab auch Ausnahmen, Wanderpriester ohne Pfarreien, die predigten und sich der Verhaftung entzogen oder, wenn ihnen dies nicht gelang, in Arbeitslager geschickt wurden. Es gab Asketen, die sich in Klöster zurückzogen, um den Glauben durch Selbstverleugnung und Gebete am Leben zu erhalten; aber sie begegneten kaum je den Massen des Volkes.
    Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus ergab sich die Chance einer großen Renaissance, einer Wiedergeburt, mit der Kirche und Evangelium ihren zentralen Platz im Leben des traditionell tiefreligiösen russischen Volkes zurückerobern konnten.
    Doch die Rückkehr zur Religion wurde durch die neueren Kirchen herbeigeführt, die sich kraftvoll und energisch engagierten und bereit waren, die Menschen dort aufzusuchen und ihnen zu predigen, wo sie lebten und arbeiteten. Die Pentekostalisten vermehrten sich, und amerikanische Missionare der Baptisten, Mormonen und Adventisten des Siebten Tages strömten ins Land. Die Führung der russischorthodoxen Kirche reagierte mit der Bitte an Moskau, ausländische Prediger zu verbannen.
    Die Verteidiger argumentierten, daß eine schnelle und grundlegende Reform der orthodoxen Hierarchien unmöglich war, weil auch die unteren Ebenen wenig zu bieten hatten. Die im Seminar ausgebildeten Priester besaßen kein Format und sprachen die archaische Sprache der Schriften. Sie waren durchdrungen von Pedanterie und Didaktik und unbewandert im nichtakademischen öffentlichen Vortrag. Mit ihren Predigten fesselten sie lediglich ein nur aus wenigen alten Menschen bestehendes Publikum.
    Dabei wurde eine riesige Chance verpaßt. Als sich erwies, daß der dialektische Materialismus nur ein Götze war und daß Demokratie und Kapitalismus nicht den Leib und erst recht nicht die Seele befriedigen konnten, erfaßte ein tiefes Bedürfnis nach Trost die gesamte Nation. Es blieb meist ungestillt.
    Statt die besten jüngeren Priester auszusenden, um den Glauben und das Wort Gottes zu verbreiten, beklagten die Kritiker, saß die orthodoxe Kirche in Diözesen, Klöstern und Seminaren und wartete auf die Menschen. Nur wenige kamen.
    Wenn nach dem Fall des Kommunismus leidenschaftliche und inspirierte Führungsstärke dringend benötigt wurde, so war der sanftmütige Gelehrte Alexei II. wohl kaum der geeignete Mann für diese Aufgabe. Seine Wahl war ein Kompromiß zwischen den Bischöfen und den verschiedenen Strömungen, für die sie standen. Alexei, so hofften die veränderungsunwilligen Kirchenmänner, würde keine Umwälzungen herbeiführen.
    Aber trotz dieses schweren Erbes und seines fehlenden Charismas besaß Alexei II. ein gewisses Maß an Reformergeist. Er erreichte drei wichtige Dinge.
    Seine erste Reform war die Aufteilung Rußlands in hundert Diözesen, die allesamt sehr viel kleiner waren als die bisherigen. Dadurch konnte er aus den Reihen der besten und am meisten motivierten Priester, die am wenigsten in die Kollaboration mit dem inzwischen aufgelösten KGB verwickelt waren, neue und jüngere Bischöfe ernennen. Dann besuchte er jede Diözese und zeigte sich mehr vor dem Volk als alle Patriarchen der Vergangenheit.
    Zweitens unterband er die heftigen antisemitischen Ausfälle des Metropoliten Ioann von St. Petersburg und stellte klar, daß jeder Bischof, der in seiner Botschaft an die Gläubigen den Haß gegen Menschen über die Liebe zu Gott stellte, sein Amt verlieren würde, Ioann starb 1995, ohne seinen Frieden mit den Juden und Alexei II. gemacht zu haben.
    Schließlich gab Alexei gegen großen Widerstand seine persönliche Zustimmung für Pater Gregor Rusakow, einen charismatischen jungen Priester, der sowohl eine eigene Pfarrei ablehnte als auch die Vorschriften der Bischöfe, durch deren Bezirke er als Wanderprediger zog.
    Viele Patriarchen hätten den nonkonformistischen Mönch verurteilt und ihn von der Kanzel verbannt, aber Alexei II.
    lehnte ein solches Vorgehen ab. Lieber ging er das Risiko ein, dem Wanderprediger seinen Willen zu lassen, weil er im Gegensatz zu den Bischöfen mit seinen bewegenden und begeisterten Ansprachen Junge und Ungläubige erreichte.
    Anfang November 1999 wurde der gütige Patriarch kurz vor Mitternacht mit der Nachricht in seinen Gebeten unterbrochen, daß ein Bote aus London an der Straßentür warte und um eine Audienz bitte.
    Der Patriarch war in seine schlichte graue Soutane gekleidet. Er

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