Das schwarze Manifest
wurde das Schweigen schließlich von Komarow gebrochen. »Er hat das Schwarze Manifest gesehen, stimmt's?«
»Wahrscheinlich«, sagte Grischin.
»Zuerst die Druckerpressen, dann die geheimen Treffen mit dem Patriarchen und jetzt dies. Was zum Teufel geht hier vor?«
»Wir werden sabotiert, Herr Präsident.«
Igor Komarows Stimme blieb verräterisch ruhig, zu ruhig, aber sein Gesicht war leichenblaß, und auf seinen Wangen brannten hellrote Flecken. Wie der verstorbene Sekretär Akopow hatte auch Anatoli Grischin erlebt,
zu
welchen Wutanfällen der Faschistenführer fähig war, und selbst er fürchtete sich davor. Als Komarow zu reden begann, schien er fast zu flüstern.
»Sie stehen an meiner Seite, Anatoli, als mein engster Mann, als Mann, der unter mir bald mehr Macht haben wird als jeder andere Mensch in Rußland. Und Ihre Aufgabe ist es, jegliche Sabotage zu verhindern. Also, wer tut mir das an?«
»Ein Engländer namens Irvine und ein Amerikaner namens Monk.«
»Nur zwei? Mehr nicht?«
»Sie werden offensichtlich von anderen Leuten unterstützt, Gospodin Präsident, und sie haben das Manifest. Sie zeigen es herum.«
Komarow stand auf, nahm ein schweres zylindrisches Ebenholzlineal von seinem Schreibtisch und begann damit, zum Takt seiner Worte in seine linke Hand zu schlagen. Seine Stimme wurde lauter.
»Dann finden Sie die beiden, und halten Sie sie auf, Anatoli. Finden Sie heraus, was die zwei als nächstes planen, und verhindern Sie es. Und jetzt hören Sie mir genau zu. Am fünfzehnten Januar, also in etwas mehr als sechs Wochen, haben hundertzehn Millionen Russen das Recht, mit ihrer Stimme den nächsten Präsidenten Rußlands zu wählen. Und ich will, daß sie mich wählen.
Bei einer Wahlbeteiligung von siebzig Prozent will ich von den etwa siebenundsiebzig Millionen abgegebenen Stimmen vierzig Millionen. Ich will in der ersten Runde siegen, keine Stichwahl. Vor einer Woche konnte ich noch mit sechzig Millionen rechnen. Dieser idiotische General hat mich gerade zehn Millionen gekostet.«
Die Worte »zehn Millionen« wurden wütend herausgeschleudert. Das Lineal hob und senkte sich, aber Komarow hieb jetzt damit auf die Tischplatte ein. Ohne Vorwarnung begann er, seine Untergebenen anzuschreien, schlug mit dem Lineal auf sein eigenes Telefon, bis das Bakelit platzte und zerbrach. Grischin stand wie erstarrt, auf dem Flur herrschte absolutes Schweigen, die Büroangestellten verharrten reglos, wo immer sie sich gerade befanden.
»Und jetzt veranstaltet so ein beschränkter Pope eine neue Kesseljagd und will den Zaren zurück. Aber es wird in diesem Land keinen anderen Zaren als mich geben, und wenn ich erst regiere, werden sie schon noch lernen, was Disziplin heißt, und Iwan den Schrecklichen im Vergleich zu mir für einen frommen Chorknaben halten.«
Mit jedem Wort hieb das Ebenholzlineal erneut auf die zerstörten Überreste des Telefons ein, und Igor Komarow starrte die Trümmer an, als wäre das einstmals nützliche Instrument selbst das ungehorsame russische Volk, das nun unter seiner Knute lernte, was Disziplin bedeutete.
Der letzte Schrei »Chorknabe« verklang, und Komarow ließ das Lineal auf den Tisch fallen. Er holte einige Male tief Luft und riß sich zusammen. Seine Stimme klang wieder normal, doch seine Hände zitterten noch vor Erregung, so daß er alle zehn Fingerspitzen auf die Tischplatte aufstützte.
»Heute werde ich bei Wladimir auf einer Kundgebung sprechen, der größten Kundgebung des ganzen Wahlkampfs. Morgen wird die Rede landesweit ausgestrahlt. Und danach werde ich bis zur Wahl jeden Abend eine Ansprache an die Nation halten. Für das Geld ist gesorgt. Das ist meine Angelegenheit. Kusnezow kümmert sich um die Öffentlichkeitsarbeit.«
Er streckte einen Arm aus und zeigte über den Tisch hinweg mit dem Zeigefinger in Grischins Gesicht.
»Und Sie, Anatoli Grischin, Sie haben nur eine einzige Aufgabe: Schluß mit diesen Sabotageakten.«
Den letzten Satz hatte er wieder hinausgeschrien. Komarow sackte in seinem Sessel zusammen und entließ den Sicherheitschef mit einem Winken seiner Hand. Wortlos schritt Grischin über den Teppich zur Tür und ging stumm hinaus.
Zur Zeit des Kommunismus hatte es nur eine Bank gegeben, die Narodni- oder Volksbank. Doch seit der Wende und mit einsetzendem Kapitalismus waren Banken wie Pilze aus dem Boden geschossen, so daß es davon jetzt mehr als achttausend gab.
Viele waren, kaum hatten sie Fuß gefaßt, mitsamt dem Geld der
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