Das schwarze Manifest
können. Ob dabei gelogen wurde oder nicht, war völlig unwichtig.
Wie alle Politiker und Anwälte war er ein Mann des Wortes und überzeugt, es gebe kein Problem, das sich nicht durch Worte lösen ließe. Der Gedanke, es könnte ein Tag kommen, an dem ihm die Worte ausgingen, an dem sie nicht mehr überzeugen und andere, bessere Worte ihn austricksen und vernichtend schlagen konnten, an dem man ihm und seinem Führer nicht mehr glauben würde, solch ein Tag war für Boris Kusnezow unvorstellbar.
In Amerika hatten sie es »public relations« genannt, diese milliardenschwere Industrie, die aus einem talentlosen Trottel einen Star, aus einem Narren einen Weisen und aus einem Wendehals einen Staatsmann machen konnte. In Rußland nannten sie es Propaganda, aber das Werkzeug war das gleiche.
Dieses Werkzeug, Litwinows phantastische Bilder und die Arbeit im Studio hatten mitgeholfen, einen ehemaligen, redebegabten Ingenieur in einen Koloß zu verwandeln, in einen Mann, der kurz davor stand, Rußlands höchsten Preis in Empfang zu nehmen, das Amt des Präsidenten.
Die russischen, noch an die grobe, umständliche Propaganda ihrer kommunistischen Jugend gewöhnten Medien waren wie leichtgläubige Kinder gewesen, als er ihnen die Aufzeichnungen über die raffinierten, geschickt inszenierten Wahlveranstaltungen für Igor Komarow gezeigt hatte. Doch jetzt war etwas schiefgelaufen, irgendwas war gründlich danebengegangen.
Es gab eine neue Stimme, die Stimme des leidenschaftlichen Priesters, die mittels Radio und Fernsehen durch Rußland hallte, Medien, die Kusnezow für sein ureigenes Revier gehalten hatte, und diese Stimme predigte den Glauben an einen größeren Gott und forderte die Rückkehr einer anderen Ikone.
Hinter dem Priester stand der Mann am Telefon – man hatte ihm von der Kampagne anonymer Anrufe berichtet –, Lügen, doch ach, welch beredsame Lügen, die in die Ohren wichtiger Journalisten und Kommentatoren geflüstert worden waren, Leute, die er zu kennen und zu kontrollieren glaubte.
Für Boris Kusnezow lag die Antwort immer noch in den Worten von Igor Komarow, Worte, denen es nicht an Überzeugung fehlte, die niemals fehlgehen konnten.
Als er das Büro des Führers betrat, war er von der Verwandlung schockiert. Komarow saß wie betäubt an seinem Tisch. Auf dem Boden verstreut lagen die Tageszeitungen, deren Schlagzeilen ihre Anklagen gegen die Zimmerdecke schrien. Kusnezow kannte sie bereits alle, die Beschuldigungen in bezug auf General Nikolajew, auf die Überfälle und Razzien, die Gangster und das Geld der Mafia. Noch nie hatte es jemand gewagt, so über Igor Komarow zu reden.
Zum Glück wußte Kusnezow, was jetzt getan werden mußte. Igor Komarow mußte reden, und alles würde wieder gut sein.
»Herr Präsident, ich muß Sie dringend bitten, morgen eine große Pressekonferenz abzuhalten.«
Komarow starrte ihn mehrere Sekunden an, als versuchte er zu begreifen, was ihm gesagt wurde. In seiner gesamten politischen Laufbahn war er mit Zustimmung Kusnezows Pressekonferenzen aus dem Weg gegangen. Sie waren unkontrollierbar. Er bevorzugte arrangierte Interviews mit vorab eingereichten Fragen, abgelesene Reden, eine vorbereitete Ansprache, die jubelnde Versammlung.
»Ich halte keine Pressekonferenzen ab«, fauchte er.
»Aber nur so können wir diesen widerlichen Gerüchten ein Ende bereiten. Die Mutmaßungen der Medien geraten außer Rand und Band. Ich kann sie nicht länger steuern. Das kann niemand mehr. Die vermehren sich wie von selbst.«
»Ich hasse Pressekonferenzen, Kusnezow. Das wissen Sie.«
»Sie können wunderbar mit der Presse umgehen, Gospodin Präsident. Sie sind vernünftig, ruhig, überzeugend. Ihnen wird man zuhören. Sie allein können unter diesen Lügen und Gerüchten jetzt noch einen Schlußstrich ziehen.«
»Wie sehen die Umfragen aus?«
»Landesweite Zustimmung für Sie, Gospodin Präsident, fünfundvierzig Prozent, Tendenz fallend. Dabei waren es vor vier Wochen noch siebzig Prozent. Sjuganow von der Sozialistischen Union hat achtundzwanzig Prozent, Tendenz steigend. Markow, der amtierende Präsident von der Demokratischen Allianz hat neunzehn Prozent, langsam ansteigend. Die Unentschlossenen sind nicht erfaßt. Ich muß Ihnen allerdings sagen, Herr Präsident, daß Ihnen die letzten beiden Tage weitere zehn Prozent oder mehr kosten können, wenn sich die Wirkung erst auf die Umfrage niederschlägt.«
»Warum sollte ich also eine Pressekonferenz abhalten?«
»Weil
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