Das schwarze Manifest
die Nase zu und durchsuchte mit seiner freien Hand beide Hosentaschen. Nichts. Mit der Stiefelspitze wälzte er die Leiche auf den Bauch. Unter ihr hatten sich Maden eingenistet. Er griff in die hinteren Hosentaschen, richtete sich auf und schüttelte den Kopf. Der andere ließ den Mantel fallen und tat das gleiche.
»Nichts. Keine Papiere?« fragte der Leutnant.
»Nichts, keine Münzen, kein Taschentuch, keine Schlüssel, kein Ausweis.«
»Fahrerflucht?« schlug einer der Milizionäre vor.
Sie horchten auf das Brummen, das von der Fernstraße herüberkam.
»Wie weit ist's bis zur Straße?« fragte der Leutnant.
»Ungefähr hundert Meter«, antwortete Gennadi.
»Wer Fahrerflucht verübt, hat's verdammt eilig. Er nimmt sich nicht die Zeit, das Opfer hundert Meter weit zu schleppen. Außerdem hätten in einem so dichten Wald zehn Meter gereicht.« Zu einem seiner Männer sagte der Leutnant: »Sie gehen bis zur Straße vor. Achten Sie am Straßenrand auf ein demoliertes Fahrrad oder ein Autowrack. Er kann nach einem Unfall hierhergekrochen sein. Sie bleiben vorn an der Straße und halten den Krankenwagen an.«
Der Leutnant benutzte sein Mobiltelefon, um einen Ermittler, einen Fotografen und einen Gerichtsmediziner anzufordern. Was er sah, schloß eine »natürliche Todesursache« aus. Er forderte auch einen Krankenwagen an, bestätigte aber, daß der Aufgefundene tot war. Einer der Milizionäre ging in Richtung Straße davon. Die drei anderen warteten in einiger Entfernung, wo der Gestank nicht so schlimm war.
Das Trio aus Ermittler, Fotograf und Gerichtsmediziner, das einen neutralen lehmfarbenen Uschgorod fuhr, traf zuerst ein. Es wurde auf der Straße angehalten, parkte auf dem Bankett und ging die letzten hundert Meter zu Fuß. Der Ermittler nickte dem Leutnant zu.
»Was haben wir hier?«
»Er liegt dort drüben. Ich hab' euch angefordert, weil er keines natürlichen Todes gestorben sein kann. Übel zugerichtet und hundert Meter von der Straße entfernt.«
»Wer hat ihn gefunden?«
»Der Pilzsammler dort drüben.«
Der Kriminalbeamte ging zu Gennadi hinüber.
»Also los, erzählen Sie. Von Anfang an.«
Der Fotograf machte Aufnahmen, dann legte der Gerichtsmediziner eine Mullmaske an und untersuchte den Toten rasch. Er richtete sich auf und streifte seine Gummihandschuhe ab.
»Zehn Kopeken gegen eine Flasche Moskowskaja, daß er ermordet worden ist. Das Labor kann uns Näheres sagen, aber irgend jemand hat ihn schlimm zugerichtet, bevor er gestorben ist. Wahrscheinlich nicht hier. Glückwunsch. Wolodja, ckmit hast du deinen ersten
schmurik
des Tages.«
Er benutzte den russischen Polizei- und Unterweltsausdruck für einen Toten. Dann kamen die beiden Sanitäter des Krankenwagens mit einer Tragbahre durch den Wald. Als der Gerichtsmediziner ihnen zunickte, legten sie den Toten in einen Leichensack mit Reißverschluß, bevor sie ihn zur Straße zurücktrugen.
»Kann ich jetzt gehen?« fragte Gennadi.
»Ausgeschlossen«, sagte der Kriminalbeamte. »Ich muß Ihre Aussage zu Protokoll nehmen – auf der Station.«
Die Milizionäre nahmen Gennadi auf der Straße in Richtung Moskau fünf Kilometer weit auf ihre Station mit, die sich in der Zentrale des Bezirks West befand. Der Tote reiste in die Stadtmitte weiter – bis zur Leichenhalle des Zweiten Medizinischen Instituts. Dort wurde er in ein Kühlfach gelegt. Verständlicherweise waren die wenigen Pathologen, die Autopsien vornahmen, völlig überlastet.
Jemen, Oktober 1985
Mitte Oktober reiste Jason Monk als angeblicher FAO-Inspektor in den Südjemen ein. Obwohl die Volksrepublik klein und arm war, hatte sie einen erstklassigen Flughafen – den ehemaligen Stützpunkt der Royal Air Force. Dort konnten selbst große Maschinen landen.
Monks spanischer Paß und seine von den Vereinten Nationen ausgestellten Reisepapiere bewirkten, daß er gründlich, aber letztlich doch ohne Mißtrauen kontrolliert wurde und nach einer halben Stunde mit seiner vielseitig verwendbaren Reisetasche in der Hand die Paß- und Zollkontrolle passiert hatte.
Tatsächlich hatte Rom den Direktor des hiesigen Programms der Food and Agriculture Organization darüber informiert, daß Senor Martinez Llorca kommen würde, aber dafür einen Termin genannt, der eine Woche nach Monks Ankunftsdatum lag. Das hatten die jemenitischen Beamten auf dem Flughafen nicht ahnen können. Monk wurde also nicht mit einem Dienstwagen abgeholt. Er nahm sich ein Taxi und fuhr in das neue
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