Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das schwarze Manifest

Das schwarze Manifest

Titel: Das schwarze Manifest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
Vom Netzwerk:
aufzubessern, indem er die Pilze frisch an die besten Moskauer Restaurants lieferte oder sie für die wenigen Feinkostläden, die es noch gab, in Scheiben geschnitten in der Sonne trocknete.
    Wer Pilze sammeln will, muß sehr früh am Morgen unterwegs sein, möglichst schon vor Tagesanbruch. Pilze wachsen nachts, und nach Tagesanbruch machen Wühlmäuse und Eichhörnchen oder – noch schlimmer – andere Pilzsammler sich über sie her. Russen lieben Pilze.
    Am frühen Morgen des vierundzwanzigsten Juli radelte Gennadi, von seinem Hund begleitet, aus dem kleinen Dorf, in dem er lebte, in einen Wald, in dem er mehrere gute Standorte wußte. Bevor der Tau getrocknet war, wollte er einen schönen Korb Pilze gesammelt haben.
    Der Wald, für den er sich heute entschieden hatte, lag an der großen Überlandstraße nach Minsk, auf der viele Lastwagen brummend nach Westen rollten – der weißrussischen Hauptstadt entgegen. Er fuhr in den Wald, lehnte sein Fahrrad an einen Baum, den er wiederfinden würde, nahm seinen Weidenkorb vom Gepäckträger und machte sich auf die Suche.
    Eine halbe Stunde später, als sein Korb bei Sonnenaufgang gut zur Hälfte gefüllt war, verschwand sein Hund winselnd im Unterholz. Da er den Köter auf Pilze abgerichtet hatte, mußte er etwas Gutes aufgespürt haben.
    Als er sich der Stelle näherte, stieg ihm ein Übelkeit erregender, süßlicher Geruch in die Nase. Diesen Geruch kannte er. Hatte er ihn vor vielen Jahren als junger Soldat auf dem langen Marsch von der Weichsel bis nach Berlin nicht oft genug gerochen?
    Die Leiche war hier abgeladen worden – oder der Mann war ins Unterholz gekrochen und dort gestorben. Es war ein hagerer alter Mann, stark verfärbt, Mund und Augen offen. Vögel hatten ihm die Augen ausgehackt. Drei Stahlzähne glitzerten taunaß. Sein Oberkörper war bis zur Taille nackt, aber in der Nähe lag ein achtlos zusammengeknüllter alter Militärmantel. Gennadi schnüffelte nochmals. Bei dieser Hitze tippte er auf bestenfalls einige Tage.
    Er überlegte eine Weile. Er gehörte der Generation an, die noch einen Begriff von Bürgerpflichten hatte, aber Pilze blieben Pilze, und für diesen armen Teufel konnte er ohnehin nichts mehr tun. In hundert Metern Entfernung konnte er jenseits des Waldrands das Brummen der Lastwagen auf der Straße von Moskau nach Minsk hören.
    Er sammelte seinen Pilzkorb voll und radelte ins Dorf zurück. Nachdem er seinen Fund in der Sonne zum Trocknen ausgebreitet hatte, ging er zum
Selsoviet,
der in einer Bruchbude untergebrachten Gemeindeverwaltung. Das kleine Gebäude war baufällig, aber es hatte Telefon.
    Gennadi wählte 02 und bekam die Notrufzentrale an den Apparat.
    »Ich hab' eine Leiche gefunden«, meldete er.
    »Name?« fragte die Stimme.
    »Wie zum Teufel soll ich das wissen? Er ist tot.«
    »Nicht seiner, Idiot, deiner.«
    »Soll ich auflegen?« fragte Gennadi.
    Am anderen Ende wurde geseufzt.
    »Nein, legen Sie nicht auf. Sagen Sie mir bloß Ihren Namen und Ihren Standort.«
    Das tat Gennadi. Der Milizionär am Telefon sah rasch auf seiner großen Wandkarte nach. Dieses Dorf lag gerade noch in der Moskauer Stadtregion – im äußersten Westen, aber noch im Moskauer Zuständigkeitsbereich.
    »Warten Sie beim
Selsowiet.
Wir schicken einen Beamten zu Ihnen raus.«
    Gennadi wartete also. Das dauerte eine halbe Stunde. Als der Beamte kam, erwies er sich als uniformierter junger Leutnant. Begleitet wurde er von zwei weiteren Milizionären, und die drei kamen wie gewöhnlich mit einem jeepähnlichen Fahrzeug, einem blaugelben Uschgorod.
    »Haben Sie die Leiche gefunden?« fragte der Leutnant.
    »Ja«, sagte Gennadi.
    »Gut, führen Sie uns hin. Wo liegt sie?«
    »Draußen im Wald.«
    Der Alte fühlte sich wichtig, als er so in einem Polizeiwagen mitfuhr. Sie stiegen an der Stelle aus, die er vorschlug, und gingen hintereinander her durch den Wald weiter. Der Pilzsammler erkannte die Birke, an die er sein Rad gelehnt hatte, und ab dort seine eigene Fährte. Wenig später machte der Geruch sich bemerkbar.
    »Er ist dort drinnen«, sagte Gennadi und zeigte ins Unterholz. »Gut riechen tut er nicht mehr. Liegt schon 'ne Weile dort.«
    Die drei Milizionäre näherten sich der Leiche und nahmen sie in Augenschein.
    »Sehen Sie nach, ob er was in den Taschen hat«, wies der Leutnant einen der Männer an. Zu dem anderen sagte er: »Sie kontrollieren die Manteltaschen.«
    Der Milizionär, der das schlechtere Los gezogen hatte, hielt sich

Weitere Kostenlose Bücher