Das schwarze Manifest
niedergeschlagen worden. Aber sie hat einen der Kerle gesehen.«
»Wann ist das gewesen?«
»Vor ungefähr zwei, vielleicht drei Wochen. Die Botschaft hat sich natürlich beim Außenministerium beschwert. Das hat seinerseits dem Innenministerium die Hölle heißgemacht. Und das hat unser Einbruchsdezernat angewiesen, den Kerl zu fassen. Irgend jemand hat eine Zeichnung von ihm angefertigt. Du kennst Tschernow? Nein? Na ja, er ist im Einbruchsdezernat der große Ermittler; jetzt rennt er rum, als hätte er Feuer unterm Hintern, weil seine Karriere auf dem Spiel steht, und kommt nicht weiter. Er ist sogar zu uns runtergekommen und hat eines seiner Bilder aufgehängt.«
»Irgendwelche Hinweise?« fragte Wolski.
»Nö. Tschernow weiß nicht, wer der Kerl ist oder wo er ihn suchen soll. Dieser Schmorbraten besteht von Mal zu Mal aus mehr Fett und weniger Fleisch, find' ich.«
»Ich weiß nicht, wer er ist, aber ich weiß, wo er im Augenblick ist«, sagte Wolski. Nowikow starrte ihn mit halb an den Mund gehobenem Bierglas an.
»Scheiße, wo?«
»Er liegt drüben im Zweiten Medizinischen in der Leichenhalle. Seine Akte ist heute vormittag reingekommen. Identität vorläufig unbekannt. Vor etwa einer Woche in den westlichen Wäldern aufgefunden worden. Totgeprügelt. Kein Ausweis in der Tasche.«
»Nun, das solltest du Tschernow schnellstens mitteilen. Der wird dir dafür um den Hals fallen.«
Während Inspektor Nowikow langsam das letzte Stück seines Schmorbratens kaute, war er ein sehr nachdenklicher Mann.
Rom, August 1986
Aldrich Ames war am zweiundzwanzigsten Juni mit seiner Frau in der Ewigen Stadt eingetroffen, um dort seinen neuen Posten anzutreten. Auch nach acht Monaten Sprachenschule war sein Italienisch zwar alltagstauglich und passabel, aber nicht gut. Im Gegensatz zu Monk hatte er kein Ohr für Fremdsprachen.
Dank seines neuen Reichtums konnte er weit luxuriöser leben als je zuvor, aber niemandem in der CIA-Außenstelle Rom fiel der Unterschied auf, weil niemand seinen Lebensstil vor April 1985 kannte.
Der dortige CIA-Resident Alan Wolfe, ein Veteran, der bereits in Pakistan, Jordanien, dem Irak, Afghanistan und England stationiert gewesen war, stellte wie schon andere bald fest, daß Ames nichts taugte. Hätte er die Beurteilungen der Stationsleiter in der Türkei und in Mexiko gelesen, bevor Ken Mulgrew sie frisiert hatte, hätte er bis zum stellvertretenden Direktor (Beschaffung) hinauf gegen den neuen Leiter seiner Abteilung Sowjetunion protestiert.
Ames erwies sich bald als Gewohnheitstrinker und dienstlich leistungsschwacher Mitarbeiter. Den Russen machte das allerdings keine Sorgen. Sie benannten rasch einen Mittelsmann, einen untergeordneten Diplomaten namens Chrenkow, mit dem Ames sich treffen konnte, ohne Verdacht zu erregen. Seinen Kollegen gegenüber behauptete Ames einfach, er versuche, Chrenkow als möglichen Agenten »aufzubauen«. Das rechtfertigte dann eine ganze Serie äußerst langer und feuchtfröhlicher Mittagessen, nach denen Ames kaum noch an seinen Schreibtisch zurückfand.
Wie in Langley fing Ames an, massenhaft Geheimunterlagen von seinem Schreibtisch in Tragtaschen zu schieben, mit denen er aus der US-Botschaft schlenderte, um sie Chrenkow zu übergeben.
Im August kam sein eigentlicher Führungsoffizier aus Moskau nach Rom, um ihn kennenzulernen. Im Gegensatz zu Androsow in Washington lebte der neue KGB-Mann nicht am Ort, sondern flog aus Moskau ein, wenn ein Treff nötig wurde. In Rom waren solche Begegnungen viel problemloser als in den Vereinigten Staaten.
Ames verließ einfach seine Dienststelle, um zum Mittagessen zu gehen, das er ganz öffentlich mit Chrenkow in einem Cafe einnahm. Nicht ganz so öffentlich stiegen sie danach in eine geschlossene Limousine, die Chrenkow zur Villa Abamelek, der Residenz des sowjetischen Botschafters, fuhr. Dort erwartete ihn sein Führungsoffizier »Wlad«, und die beiden konnten stundenlang ungestört miteinander reden. Ames' Führungsoffizier war in Wirklichkeit KGB-Oberst Wladimir Metschulajew von der Verwaltung K der Ersten Hauptverwaltung.
Bei ihrem ersten Treff wollte Ames sich darüber beschweren, daß der KGB die von ihm verratenen Männer so ungewöhnlich schnell verhaftet und ihn dadurch gefährdet hatte. Aber Wlad kam ihm zuvor, entschuldigte sich für dieses reichlich unprofessionelle Vorgehen und erklärte es mit Michail Gorbatschows persönlicher Anweisung. Dann kam er auf die Angelegenheit zu sprechen, die ihn
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