Das Schweigen der Laemmer
Licking River hinter der Fell Street. War dies die Zeit des Bimmel-Mädchens zum Träumen? Die blasse Sonne ließ ge- nügend Dampf vom Wasser aufsteigen, um die im Gebüsch auf der anderen Seite des Stauwassers deponierten Kühlschränke und Herde verschwimmen zu lassen. Der Nordostwind, dem Licht gegenüber, schob die Fadenwölkchen zur Sonne.
Ein Stück weißes PVC-Rohr führte von Mr. Bimmels Schuppen zum Fluß. Es gurgelte, und ein kurzer Schwall blutigen Wassers kam heraus und besudelte den alten Schnee. Bimmel trat in die Sonne hinaus. Die Vorderseite seiner Hose war blutbespritzt, und er trug einige rosafarbene und graue Klumpen in einer Pla -
stikeinkaufstüte.
»Junge Täubchen«, sagte er, als er Starlings Blick sah. »Je junge Täubchen gegessen.«
»Nein«, sagte Starling und drehte sich wieder zum Wasser,
»ich habe ausgewachsene Tauben gegessen.«
»Braucht sich nie Sorgen zu machen, in diesen auf eine Kugel zu beißen.«
»Mr. Bimmel, hat Fredrica irgend jemand aus Calumet City oder aus der Gegend von Chicago gekannt?«
Er zuckte die Achseln und schüttelte den Kopf.
»Ist sie Ihres Wissens je in Chicago gewesen?«
»Was meinen Sie damit, ›meines Wissens‹? Glauben Sie, mein Mädchen fährt einfach so nach Chicago, und ich weiß es nicht?
Wenn sie nach Columbus gefahren wäre, hätte ich davon ge-wußt.«
»Kannte sie irgendwelche Männer, die nähen, Schneider oder Segelmacher?«
»Sie nähte für jeden. Sie konnte nähen wie ihre Mutter. Mir ist nichts von irgendwelchen Männern bekannt. Sie nähte für Geschäfte, für Damen, ich weiß nicht, wen.«
»Wer war ihre beste Freundin, Mr. Bimmel? Mit wem hing sie herum?« Wollte nicht ›hängen‹ sagen. Gut, es hat ihn nicht verletzt-er ist nur stocksauer.
»Sie hat nicht herumgehangen wie die Taugenichtse. Sie hat immer irgendeine Arbeit gehabt. Gott machte sie nicht hübsch, er machte sie fleißig.«
»Wer war Ihrer Meinung nach ihre beste Freundin?«
»Stacy Hubka, nehm' ich an, seit sie klein waren. Fredricas Mutter sagte immer, Stacy verkehrte nur mit Fredrica, um jemanden zu haben, der sie bedienen konnte, ich weiß nicht.«
»Wissen Sie, wo ich mich mit ihr in Verbindung setzen könnte?«
»Stacy arbeitete bei der Versicherung, das macht sie wohl immer noch. Die Franklin-Versicherung.«
Mit gesenktem Kopf, die Hände tief in den Taschen, ging Starling durch den verwahrlosten Garten zu ihrem Wagen. Vom hohen Fenster aus beobachtete Fredricas Katze sie.
53. Kapitel
Je weiter westlich man kommt, desto flotter wird auf einen FBI-Ausweis reagiert. Starlings Ausweis, bei dem ein Funktionär in Washington vielleicht nur gelangweilt eine Augenbraue hochgezogen hätte, erhielt in Belvedere, Ohio, die ungeteilte Aufmerksamkeit von Stacy Hubkas Chef in der Franklin-Versicherungs-agentur. Er selbst entlastete Stacy Hubka am Schalter und an den Telefonen und bot Starling die Ungestörtheit seines kleinen abgeteilten Raums für das Gespräch an.
Stacy Hubka hatte ein rundes, flaumiges Gesicht und war in Absätzen einsvierundfünfzig groß. Sie trug das Haar an den Seiten aufspringend und mit Spray überzogen und strich es sich mit einer Cher-Bono-Bewegung aus dem Gesicht zurück. Jedesmal wenn Starling sie nicht anschaute, musterte Stacy sie von oben bis unten.
»Stacy - darf ich Sie Stacy nennen?«
»Klar.«
»Stacy, ich würde gern von Ihnen hören, wie die Sache mit Fredrica Bimmel Ihrer Meinung nach passiert ist - wo dieser Mann Fredrica vielleicht entdeckt hat.«
»Bin ja awsgeflippt. Seine Haut abgezogen zu kriegen, ist das ein Hammer? Haben Sie sie gesehen? Es hieß, sie sei einfach wie Lumpen gewesen, als hätte jemand die Luft rausgelassen aus -«
»Stacy, hat sie jemals jemanden aus Chicago oder Calumet City erwähnt?«
Calumet City. Die Uhr über Stacy Hubkas Kopf machte Starling Sorgen. Wenn das Geiselrettungsteam es in vierzig Minuten schafft, ist es nur zehn Minuten vom Aufsetzen entfernt. Hatte es eine vollständig gültige Adresse? Kümmre dich um dein Geschäft.
»Chicago?« sagte Stacy. »Nein, wir sind einmal in der Thanksgiving Parade in Chicago mitmarschiert.«
»Wann?«
»Achte Klasse, das wäre wann gewesen? - vor neun Jahren.
Die Band ist einfach nur im Bus dorthin und zurück.«
»Was haben Sie letzten Frühling gedacht, als sie zuerst verschwand?«
»Ich hatte ja keine Ahnung.«
»Erinnern Sie sich, wo Sie waren, als Sie es das erstemal hörten? Als Sie die Neuigkeit erfuhren? Was haben Sie da
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