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Das Schweigen der Laemmer

Das Schweigen der Laemmer

Titel: Das Schweigen der Laemmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Harris
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bedeutet, die Kartons wurden nach dem, was immer auch im Wagen ist, hierhergebracht.
    Und das bedeutet, ich kann die Kartons wegschieben, ohne irgendwas Wichtiges zu verlieren.
    »In Ordnung, Mr. Yow.«
    »Ja? Müssen wir die Polizei rufen oder genügen Sie, Officer Starling?«
    »Das muß ich herausfinden. Bitte warten Sie einfach.«
    Mit dem Kartonproblem war es wie mit Rubiks Würfel - zum Verrücktwerden. Sie versuchte mit der Taschenlampe unter dem Arm zu arbeiten, ließ sie zweimal fallen und legte sie schließlich oben auf den Wagen. Sie mußte Kartons hinter sich stellen, und einige der kleineren Bücherkartons rutschten unter den Wagen.
    Eine Art Biß oder Splitter brachte den Ballen ihres Daumens zum Jucken.
    Nun konnte sie durch die staubige Scheibe des Seitenfensters vorne beim Beifahrersitz in das Chauffeurabteil sehen. Eine Spinne hatte ihr Netz zwischen dem großen Lenkrad und der Gangschaltung gesponnen. Die Trennscheibe zwischen dem vor-deren und hinteren Abteil war geschlossen.
    Wenn sie doch bloß daran gedacht hätte, den Wagenschlüssel des Packards zu ölen, bevor sie unter die Tür glitt! Doch als sie ihn ins Schloß steckte, funktionierte er.
    Es war kaum Platz, die Tür in dem engen Durchgang mehr als ein Drittel zu öffnen. Sie stieß mit einem dumpfen Schlag gegen die Kartons, der die Mäuse zum Scharren brachte und dem Kla -
    vier zusätzliche Töne entlockte. Aus dem Wagen kam ein schaler Geruch von Zerfall und Chemie. Er verhalf ihrem Gedächtnis an einen Ort, den sie nicht benennen konnte.
    Sie beugte sich hinein, öffnete die Trennwand hinter dem Fahrersitz und leuchtete mit der Taschenlampe in das hintere Abteil des Wagens. Ein Frackhemd mit Kragenknöpfen war das Helle, das das Licht zuerst fand, kletterte dann rasch an der Vorderseite des Hemds hoch zum Gesicht - kein Gesicht zu sehen - und wieder hinunter, über glitzernde Hemdknöpfe und Satinaufschläge zu einem Schoß mit offenem Reißverschluß und wieder hoch zu der adretten Fliege und dem Kragen, wo der weiße Halsstummel einer Schaufensterpuppe herausragte, über dem Hals jedoch etwas anderes, das kaum Licht reflektierte. Tuch, eine schwarze Kapuze dort, wo der Kopf sein sollte, groß, als bedeckte sie den Käfig eines Papageis. Samt, dachte Starling. Das Gebilde saß auf einem Sperrholzgestell, das an dem Nacken der Schaufensterpuppe befestigt war.
    Sie machte mehrere Aufnahmen vom Vordersitz, wobei sie mit dem Blitzlicht scharf einstellte und die Augen beim Aufleuchten des Blitzlämpchens zukniff. Draußen vor dem Wagen richtete sie sich auf. Im Dunkeln dastehend, naß und mit Spinnweben bedeckt, überlegte sie, was zu tun sei.
    Auf keinen Fall würde sie den für die Außenstelle Baltimore zu-ständigen Special Agent herbeizitieren, damit dieser sich eine Schaufensterpuppe mit offenem Hosenlatz und einem Buch mit Valentinsbildern ansah.
    Sobald sie den Entschluß gefaßt hatte, auf den Rücksitz zu klettern und die Kapuze von dem Ding zu nehmen, wollte sie nicht länger darüber nachdenken. Sie langte durch die Fahrertrenn-wand, schloß die Hintertür auf und stellte einige Kartons um, um die Türe öffnen zu können. Es dauerte ihr alles zu lange. Der Geruch vom hinteren Abteil war viel stärker, als sie die Tür endlich aufmachte. Sie langte hinein, hob das Valentinsalbum vorsichtig an den Ecken hoch und schob es auf einen Beweismaterialbeutel oben auf dem Wagen. Einen weiteren Beutel breitete sie auf dem Sitz aus.
    Die Wagenfedern ächzten, als sie hineinstieg, und die Gestalt verschob sich leicht, als sie sich neben sie hinsetzte. Die rechte Hand in ihrem weißen Handschuh glitt vom Oberschenkel und lag auf dem Sitz. Sie berührte den Handschuh mit dem Finger. Die Hand darin war steif. Behutsam streifte sie den Handschuh vom Handgelenk. Das Handgelenk war irgendein weißes Synthetik-material. In den Hosen war eine Schwellung, die sie einen verrückten Augenblick lang an gewisse Ereignisse in der High School erinnerte.
    Unter dem Sitz kamen leise Trippelgeräusche hervor.
    Sanft wie eine Liebkosung berührte ihre Hand die Kapuze. Das Tuch bewegte sich mühelos über etwas Hartes und Glattes darunter. Als sie den runden Knauf oben fühlte, wußte sie Bescheid. Sie wußte, daß es ein großes Laborprobenglas war, und sie wußte, was darin sein würde. Mit Furcht, aber wenig Zweifel, zog sie das Tuch weg.
    Der Kopf im Glas war sauber unter dem Kiefer abgetrennt worden. Er blickte sie an, die Augen seit langem durch den

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