Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)
Kindermädchen, Livie Keene.«
Olivia knickste und lächelte die Mutter der Kinder höflich an.
Die Frau musterte sie gründlich, und wenn Olivia sich nicht irrte, leuchtete Anerkennung in ihren Augen auf. »Willkommen. Ich hoffe, ich kann mich darauf verlassen, dass Sie sich gut um Audrey und Andrew kümmern?«
Olivia nickte und knickste noch einmal.
Die Frau drehte sich zu ihrem Jüngsten um und streckte die Arme nach ihm aus. »Komm, Alexander, komm zu Mama. Lord Bradley wünscht zu sehen, wie sehr du gewachsen bist.«
Während Olivia sie beobachtete, dachte sie: Seine Frau ist wirklich reizend . Bei näherer Betrachtung schien sie Ende zwanzig zu sein, vielleicht ein paar Jahre älter als Lord Bradley.
Die Frau nahm das Kind in ihre Arme und schritt aus dem Zimmer, wobei sie mit dem Kleinen gurrte und plapperte. Olivia schloss die Tür hinter ihr, denn sie erinnerte sich an Miss Peales Ermahnung, dass das Geklapper und Geschrei aus dem Kinderzimmer nicht nach außen dringen sollte.
»Das war Mrs Howe«, erklärte Miss Peale.
Mrs Howe? Mit fragendem Blick legte Olivia den Kopf zur Seite.
»Die Nichte des Earls. Leider ist sie Witwe.«
Aha . Das war der Grund für das eintönige graue Kleid.
»Ihr Mann starb … ich weiß nicht mehr genau, wann, aber vor über einem Jahr, als Alexander noch nicht einmal geboren war. Audrey und Andrew sind ihre Stiefkinder aus seiner ersten Ehe. Ihre Mutter starb im Kindbett, soviel ich weiß.«
Das erklärte, warum Audrey und Andrew weder Lord Bradley noch Mrs Howe in irgendeiner Weise ähnlich sahen. Olivia nickte verständnisvoll und sortierte ihre Gedanken. Sie war also gar nicht Lord Bradleys Frau, sondern seine Cousine. Und sie lebte hier, weil sie nach dem Tod ihres Mannes eine Bleibe gebraucht hatte. Oder gab es vielleicht noch andere Gründe?
Olivia war erleichtert, dass Lord Bradley nicht verheiratet war. Das hieß, dass er keine Ehefrau und keinen zukünftigen Erben zu enttäuschen hatte. Sie erinnerte sich, was Miss Peale über den kleinen Alexander gesagt hatte – dass er Lord Bradley so ähnlich sehe und dass dies erstaunlich sei. Hatte das etwas zu bedeuten?
Doris blieb den Rest des Nachmittags im Kinderzimmer, um Olivia ihre vielfältigen Pflichten zu erklären. Sie meinte, Olivia habe Glück, dass Becky den größten Teil der unangenehmen Aufgaben wie das Saubermachen und das Schleppen des schweren Badewassers erledige. Trotzdem sehnte sich Olivia nach ihrer Stelle in Miss Cresswells Schule zurück.
Später brachte Doris das Essen nach oben und sie setzten sich wie eine bunt gemischte Familie zusammen – Miss Peale nahm wie eine ehrwürdige Großmutter den Platz am oberen Ende des Tisches ein. Alexander war bereits gefüttert worden. Er saß auf einer Steppdecke auf dem Boden und schüttelte eine sehr angenagte Rassel.
Nach dem Mahl, das aus Erbsensuppe, kaltem Rinderbraten, gestampften Kartoffeln und Karottenbrei bestand, erhob sich Becky und stellte die Teller ineinander.
»Verpassen wir diesen wilden Tieren eine gründliche Reinigung, ja?«, sagte Doris. »Sie sind ja richtig dreckig.«
Während Becky das Tablett nach unten trug und das Wasser nach oben brachte, bereiteten Doris und Olivia die Kinder für ihr Bad vor. Becky füllte die Kupferwanne und Andrew rannte nackt, wie Gott ihn geschaffen hatte, durch den Raum und spritzte mit durchdringendem Freudengeheul Wasser herum. Wieder zuckte Olivia bei diesem lauten Geräusch zusammen, das den stillen Fluren von Miss Cresswells Schule so fremd war. Es würde einige Zeit dauern, sich an den Jungen zu gewöhnen.
Doris behandelte Andrew mit freundlicher Unnachgiebigkeit – das kam daher, dass sie einen jüngeren Bruder hatte, erklärte sie – und Olivia folgte ihrem Beispiel, als sie die Kinder badeten und ihnen in ihre Nachthemden halfen.
Aus dem Augenwinkel sah Olivia, wie Doris gähnte. Olivia zeigte auf sich selbst und schubste Doris sanft zur Tür. Das Hausmädchen blinzelte müde und begriffsstutzig. Olivia deutete auf Doris, neigte dann die Wange auf ihre gefalteten Hände und schloss die Augen, um Schlaf zu gebärden.
»Wirklich? Sie bringen sie allein ins Bett?«
Olivia nickte.
»Danke, Schätzchen. Ich wusste auf den ersten Blick, dass Sie ein Engel sind. Meine Güte, ich kippe beinahe um vor Müdigkeit. Und ihr beiden, seid anständig zu Livie, ihr Löwen und Tiger. Fresst euer zweites Kindermädchen nicht an ihrem ersten Abend auf, in Ordnung?«
Audrey nickte. Andrew
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