Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)
dankbar. Ich fürchte, ich kann mich nicht mehr genau daran erinnern, was an diesem Tag passiert ist, aber Lord Bradley hat Ihr schnelles Handeln sehr gelobt.«
Croome hielt inne und blickte ihr ins Gesicht. »Hat er das?« Einen Moment lang hellte sich seine Miene auf, doch dann fiel sein Blick auf die zugedeckte Schüssel in ihren Händen. Sofort machte er wieder ein böses Gesicht.
»Ich hab’s Ihnen schon einmal gesagt. Ich brauche Ihre Almosen nicht.«
»Es freut mich, das zu hören, denn ich habe Ihnen nichts zu geben. Was ich hier mitgebracht habe ist von Mrs Moore. Hasenpfeffer, hat sie gesagt, soweit ich mich erinnere. Sie hat mehr gemacht, als im Herrenhaus gebraucht wird, und meinte, falls Sie zu starrköpfig sind, um es anzunehmen, könnten Sie es wieder an Ihre Schweine verfüttern. Ihr ist das egal.«
»Das hat sie gesagt, ja?« Die Andeutung eines Lächelns umspielte seine Lippen. Dann zitterte seine Hand leicht. »Klingt ganz nach Nell. Ein herrisches Weib.«
»Nehmen Sie es an oder soll ich es auf dem Heimweg im Wald ausleeren? Denn zumindest ich möchte ihre Gefühle nicht verletzen.«
»Kein Grund, das Essen wegzuwerfen. Sie hätten es nicht bringen sollen, aber ich mag Verschwendung genauso wenig wie diese berechnende Frau. Lassen Sie es hier. Ich habe nicht nur Schweine, sondern auch Hunde. Wir werden es unter uns aufteilen.«
»Wie Sie wollen.« Sie stellte die Schüssel auf die Treppe, drehte sich ohne weiteres Wort um und marschierte erhobenen Hauptes davon.
Es dauerte jedoch einige Minuten, bis ihr Herzschlag sich wieder beruhigt hatte.
Edward trank Kaffee zum Frühstück, Judith dagegen nahm Tee. Sein Vater hatte sich noch nicht zu ihnen gesellt. Hodges brachte den Teller mit den Briefen herein – Rechnungen für ihn, einen Brief aus Swindon für Judith.
Judith setzte die Teetasse ab, brach den Brief auf und sagte, nachdem sie ein paar Sätze überflogen hatte: »Ein Brief von meiner Mutter. Es scheint, dass meine liebe Schwiegermutter sich bei ihr über die Tatsache beschwert hat, dass die Kinder momentan keine Gouvernante haben. Diese aufdringliche Person!«
Sie hielt inne, um an ihrem Tee zu nippen, dann starrte sie wieder auf den Brief. Edward vermutete, dass seine Cousine eine Brille brauchte, aber sie war zu eitel, um es zuzugeben.
»Du liebe Güte!« Judiths Wangen röteten sich. »Mama bietet an – es kommt mir eher wie eine Drohung vor –, meine frühere Gouvernante anzustellen, wenn es mir nicht selbst gelingt, eine zu finden. Was für eine Frechheit!«
»Ich bin sicher, Tante Bradley möchte dir nur freundlich helfen.«
»Freundlich!« Judith wandte ihm aufgebracht das Gesicht zu. » Erinnerst du dich nicht an Miss Ripley? Ich bin sicher, du bist ihr einige Male begegnet.«
»Ich fürchte, an dieses Vergnügen erinnere ich mich nicht.«
»Sie war so barsch und fordernd, dass ich mich vor ihr zu Tode geängstigt habe. Verglichen mit ihr war Miss Dowdle ein Goldstück! Was man auch tat, nie konnte man es der Frau recht machen. Mich schüttelt es bei dem Gedanken, so ein Geschöpf in unser … ich meine, in dein Haus zu bringen.«
»Brightwell Court ist jetzt auch dein Zuhause, Judith, das weißt du. Du kannst hier so lange bleiben, wie du möchtest.«
»Danke, aber ich möchte mir nicht anmaßen –«
»Natürlich musst du dich um die Erziehung deiner Kinder kümmern.«
»Aber es sind nicht meine Kinder.«
»Judith« – in seiner Stimme schwangen ein leichter Tadel und eine ernsthafte Bitte mit – »jetzt sind es deine Kinder. Du weißt, Dominick würde von dir erwarten, dass du sie wie eigene Kinder behandelst.«
»Ja, vermutlich. Wenn seine Mutter nicht so von der Gicht geplagt wäre, würde sie wahrscheinlich darauf bestehen, sie selbst großzuziehen.« Judith seufzte. »Wie schade, dass Mädchenpensionate in der vornehmen Gesellschaft so aus der Mode gekommen sind.«
»Aber Audrey ist noch sehr jung. Mir widerstrebt der Gedanke, sie in so zartem Alter wegzuschicken.«
»Tatsächlich?« Judiths Blick wurde weich.
Edward schaute zur Seite. »Andrew wird eines Tages auf eine Schule geschickt werden müssen, aber ich hoffe, dass das noch nicht so bald sein wird.«
»Wie liebenswürdig du bist, Edward. Den meisten Männern würde es nicht gefallen, die Kinder eines anderen Mannes um sich zu haben.«
»Judith, sie sind hier sehr willkommen, das weißt du doch.«
Sie kräuselte nachdenklich die Stirn. »Es gibt ein Mädchenpensionat in St.
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