Das Schweigen der Miss Keene (German Edition)
Aldwyns, soweit ich weiß. Audrey wäre also nicht weit weg.«
»Tugwell und ich haben uns neulich über diese Schule unterhalten«, erwiderte er in trockenem Ton, erklärte aber den Anlass nicht. »Trotzdem halte ich es für viel besser, sie hier zu Hause zu unterrichten.«
»Es freut mich so, das von dir zu hören, Edward«, sagte Judith, die Wangen leicht gerötet.
Edward nickte, doch ihr Lob war ihm unangenehm. Dass sie hier alle wohnen konnten, verdankten sie nicht ihm, sondern der Großzügigkeit seines Vaters.
Judith studierte den Brief noch einmal nachdenklich. »Ich nehme nicht an, dass … Nein, das wäre wohl nicht das Richtige.«
»Was meinst du?«
»Ich frage mich … Wie wäre es mit Miss Keene?«
»Miss Keene?«
»Sie kann gut mit den Kindern umgehen und hat nichts von der Überheblichkeit, die mich an Gouvernanten so stört.«
Edward starrte sie an. Er war völlig vor den Kopf geschlagen und wusste nicht, ob er diesen Vorstoß gutheißen oder verbieten sollte. Ihm war klar, dass Miss Keenes »Probezeit« vorbei war und er kein Recht dazu hatte, sie länger hier zu behalten, falls sie Brightwell Court verlassen wollte. Würde ein solcher Posten sie verlocken, weiter zu bleiben?
Judith sprach weiter und schien der Idee immer mehr abzugewinnen, je mehr sie sich damit beschäftigte. »Ich bin bereits mit ihr bekannt und die Kinder auch. Und sie ist sehr gebildet, weißt du. Sie hat eine schöne Schrift und spricht oder schreibt zumindest Französisch und Italienisch. Und sie spielt Klavier. Zumindest ein bisschen.«
Er konnte nicht widerstehen, sie zu necken. »Bist du so enttäuscht, dass sie sich nicht als ausländische Prinzessin entpuppt hat, dass du deshalb eine Gouvernante aus ihr machen willst?«
Sie zog die Nase kraus, und ihr Gesichtsausdruck erinnerte ihn an ihre früheren Tage, als sie Spielkameraden gewesen waren.
Er fragte: »War sie vorher schon einmal Gouvernante?«
»Das glaube ich nicht, aber ihre Mutter war die Gouvernante von Tante Margery und Tante Philippa. Und als ich ihr ein paar Fragen gestellt habe, hat sie zugegeben, dass sie an einer Mädchenschule unterrichtet hat – ich weiß nicht mehr, wo. Wenn sie von dort ein Leumundszeugnis bekommen könnte, wäre ich zufrieden.«
Er musterte sie verblüfft. »Warum tust du das, Judith? Hast du wirklich grundsätzlich so viel gegen Gouvernanten einzuwenden oder gibt es einen anderen Grund, warum du Miss Keene diese Aufgabe anvertrauen willst?«
»Ich habe viele Gründe. Sie ist offensichtlich eine intelligente, geduldige junge Frau, die Kinder liebt. Die meine Kinder liebt. Sie hat es bereits auf sich genommen, ihnen das Rechnen beizubringen und ihre Lesefähigkeit zu verbessern. Und währenddessen hat sie alle ihre anderen Pflichten hervorragend erfüllt. Wie groß ist die Chance, eine Fremde zu finden, der das so gelänge und die genauso gut in unseren Haushalt passen würde? Ich gebe zu, der Wechsel würde ein paar Umstellungen nötig machen. Dazu gehört, dass wir sie alle Miss Keene nennen müssten, statt sie bei ihrem Vornamen zu rufen.«
»Du und ich tun das bereits.«
Judith nickte. »Es war mir nie wohl dabei, ihren Vornamen zu benutzen«, erklärte sie leichthin. »Ihre Haltung hat etwas so Damenhaftes an sich. Ich fürchte, sie kann sich immer noch als adelig entpuppen und ich möchte mir nichts vorzuwerfen haben.«
»Ich muss sagen, Judith, ich bin beeindruckt … Es kommt mir fast so vor, als läge dir das Mädchen am Herzen.«
Sie zuckte die Achseln. »Ganz und gar nicht. Mir gefällt nur die Vorstellung, meine Freunde mit Geschichten über unsere zeitweise stumme Gouvernante amüsieren zu können.«
Edward schüttelte langsam den Kopf. Ein Grinsen stahl sich auf sein Gesicht. »Ich vermute, dass eine einmonatige Probezeit nicht schaden kann. Wir können immer noch eine andere Gouvernante anstellen, falls wir mit Miss Keene nicht einverstanden sind. Soll ich Mrs Hinkley beauftragen, mit ihr zu sprechen, oder würdest du das lieber selbst übernehmen?«
Olivia zögerte. »Gouvernante? Du liebe Güte. Ich weiß nicht, was ich sagen soll …« War das die Antwort auf ihr Gebet um Leitung? Oder sollte sie sich jetzt, wenn es ihr möglich war, verabschieden und das Risiko eingehen, nach Hause zurückzukehren, obwohl ihre Mutter sie gebeten hatte, das nicht zu tun?
Mrs Hinkley reichte Olivia eine Tasse Tee. Sie saßen zusammen im Salon der Haushälterin. »Ich kann es Ihnen nicht verübeln, Olivia. Es
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