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Das Schweigen der Schwaene

Das Schweigen der Schwaene

Titel: Das Schweigen der Schwaene Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iris Johansen
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war...
    Sie versuchte, seine Anwesenheit zu ignorieren. Darin war sie inzwischen sehr gut, aber er war einfach zu stark für sie. Ihr Unbehagen wuchs, und eilig machte sie die Augen zu.
    »Hören Sie auf, so zu tun, als würden Sie schlafen«, sagte er in kaltem Ton. »Sie schlafen nicht, Sie haben einfach keinen Mumm.«
    Seine Worte trafen sie.
    »Gefällt es Ihnen dazuliegen und sich selbst zu bedauern? «
    Er verstand sie nicht. Sie bedauerte sich nicht. Sie wollte nur, daß man sie in Ruhe ließ.
    »Das überrascht mich nicht. Sie haben sich Ihr Leben lang immer nur versteckt, statt Ihren Problemen ins Auge zu sehen.
    Sie wollten Künstlerin werden, und Ihre Eltern haben mit den Fingern geschnippt, und schon haben Sie alles fallenlassen und sind zu ihnen zurückgerannt. Dann hat Ihr Ehemann Sie nach seinen Vorstellungen geformt, und auch ihm gegenüber haben Sie sich nicht zur Wehr gesetzt.«
    Er sprach von Richard. Wie grausam von ihm. Richard war tot.
    Man sprach nicht schlecht über jemanden, der nicht mehr am Leben war.
    »Hat Ihnen irgendjemand erzählt, wie Jill gestorben ist? «
    Sie riss die Augen auf. »Halten Sie den Mund. Ich will es nicht wissen. Gehen Sie weg.«
    »Sie wurde erstochen.«
    Das Messer. O Gott, das Messer.
    »Es hat ihm Spaß gemacht. Es macht ihm immer Spaß.«
    Ja, es hatte ihm Spaß gemacht. Sie erinnerte sich an das Lächeln hinter der Maske, als sie von ihm niedergestochen worden war.
    »Und er läuft immer noch frei herum. Er hat ihr das Leben genommen, ihr Glück, alles, was Sie für sie geplant hatten. Sie haben zugelassen, daß er ihr alles nimmt.«
    »Nein! Ich habe versucht, ihn aufzuhalten. Ich habe ihn auf den Balkon gezerrt und...«
    »Aber sie ist tot, und er läuft frei herum. Er läuft herum und erinnert sich daran, wie er sie getötet hat. Es ist so leicht, ein Kind umzubringen.«
    »Hören Sie auf.« Seine Worte zerrissen ihr das Herz. Warum ließ er sie nicht end lich in Ruhe? Sie hätte niemals gedacht, daß es so brutale Menschen gab. »Warum tun Sie mir das an? «
    »Weil es mir egal ist, ob Sie leiden oder nicht. Sie ist tot, und Sie verraten sie. Sie legen sich einfach ins Bett und lassen das alles über sich hinwegrollen, wie Sie es schon immer getan haben. Sie war ein nettes Kind, sie hat etwas Besseres verdient als eine Mutter, die sich noch nicht einmal Gedanken darüber macht, ob der Mann, der sie getötet hat, jemals seine Strafe dafür bekommt.«
    »Sie ist tot. Nichts, was ich tun kann, würde...«
    »Entschuldigungen, Ausreden. Haben Sie nicht irgendwann einmal selbst genug davon, sich ständig dem Leben zu entziehen? Nein, ich schätze, nicht.« Er beugte sich vor, und sein Blick bohrte sich regelrecht in sie hinein. »Aber hier ist etwas, woran Sie sich erinnern sollten, während Sie hier liegen und an ihre Tochter denken. Sie ist nicht leicht gestorben. Seine Opfer sterben niemals leicht.«
    Irgendetwas explodierte in ihr. »Zur Hölle mit Ihnen.«
    »Aber ich schätze, das ist Ihnen egal. Sie schlafen lieber weiter und denken nicht länger über solche Unannehmlichkeiten nach.«
    Er stand auf und ging zur Tür. »Nur weiter so. Wahrscheinlich können Sie sowieso nichts tun. Sie haben in Ihrem ganzen Leben noch nie etwas getan.«
    Ihre Stimme zitterte vor Wut. »Mein Gott, ich hasse Sie.«
    Er sah sie reglos an. »Ja, ich weiß.«
    Dann verließ er den Raum.
    Ihre Fingernägel vergruben sich in ihren Handballen. Er sollte zurückkommen, damit sie ihn ebenso schlagen könnte wie er sie.
    Wie grausam er war. Nie zuvor hatte sie einen grausameren Menschen als ihn kennengelernt. Außer dem Monster, von dem Jill getötet worden war.
    Seine Opfer sterben niemals leicht.
    Die Worte hatten sie schmerzlicher getroffen als das Messer, von dem Jill getötet worden war. Bisher hatte sie den Gedanken an Jills Leiden, an Jills Sterben stets verdrängt. Sie hatte nur an den Verlust, an die Leere in ihrem Leben gedacht.
    Jill hätte niemals ein leeres Leben gehabt. Sie war ein Kind gewesen, das von jeder Facette des Lebens begeis tert gewesen war. Sie hätte das Leben mit beiden Händen umarmt.
    Und um dieses Leben war sie von einem Monster betrogen worden, das hilflose Kinder ermordete.
    Dieses Wissen krümmte, schmerzte, brannte sie. Er lief frei herum, und Jill war tot.
    »Nein.« Das ließe sie nicht zu. Sie hatte das Gefühl, als würde durch diesen Gedanken die Vergangenheit, die Gegenwart und auch die Zukunft ausgemerzt.
    Sie haben in Ihrem ganzen Leben noch

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