Das Schweigen der Toten
identifiziert?», fragte er.
«Ja, von der Frau, die ihn gefunden hat.»
«Wer ist sie?»
«Chief der hiesigen Polizeistation.»
«Ich will mit ihr sprechen.»
Cassie zeigte auf eine Frau in Uniform in einer Gruppe von Polizisten, die sie um Haupteslänge überragten.
«Da ist sie», sagte Cassie. «Ihr Name ist Kat Campbell.»
Nick betrachtete sie. Die Frau machte einen erschöpften Eindruck. Sie hatte dunkle Ringe unter den freundlichen Augen und hielt sich mit ihren hängenden Schultern wie jemand, der eine schwere Last auf dem Buckel trug. Das konnte passieren, wenn man im eigenen Hinterhof einen Mord entdeckte.
«Sind Sie Chief Campbell?», fragte Nick, als er auf sie zuging.
Sie nickte. «Und Sie leiten hier die Ermittlungen?»
«Ja.» Er gab ihr die Hand. «Nick Donnelly. Vom BCI .»
Sie musterte seine zivile Kleidung und suchte vergeblich nach Hinweisen auf seinen Dienstrang. Weil es die nicht gab, half ihr Nick aus der Verlegenheit.
«Ich bin Lieutenant», sagte er, «aber nur auf dem Papier. In Wirklichkeit gehöre ich einem Team an, das Schwerverbrecher zu schnappen versucht.»
«Wir sind Ihnen für Ihre Hilfe sehr dankbar.»
«Damit wir uns richtig verstehen. Der Sheriff hat uns den Fall übertragen. Damit ist die Landespolizei, genauer gesagt das BCI , für die Ermittlungen zuständig. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen.»
Kat deutete ein Kopfnicken an. «Verstanden.»
«Gut. Wie mir gesagt wurde, haben Sie die Leiche gefunden.»
Kat berichtete kurz, was sie am Morgen gesehen und anschließend unternommen hatte, vom Auffinden der Kiste bis zur Absperrung des Fundortes – alles genau nach Vorschrift. Das hörte Nick gern. Manche Kleinstadtpolizisten schadeten mehr, als sie nutzten.
«Sie kannten das Opfer, nicht wahr?»
«Nur vom Sehen. Perry Hollow ist ein kleines Nest. Mit der Zeit kennt jeder jeden.»
Ihre Stimme zitterte ein wenig, und Nick fürchtete schon, dass sie gleich in Tränen ausbrechen würde, doch es gelang ihr, die Fassung zu wahren.
«Tut mir leid», sagte sie. «Hier hat es noch nie einen Mordfall gegeben. Ein schlimmer Tag für uns alle.»
Daran zweifelte Nick keinen Augenblick. Für Chief Campbell war es bestimmt der schlimmste Tag ihrer Amtszeit. Dabei ahnte sie nicht einmal, was hinter der Sache steckte, und der Tag war noch nicht zu Ende.
Vier
Kat verstand die Situation vollkommen.
Sie wusste um die Grenzen ihrer dienstlichen Möglichkeiten. Die Polizei von Perry Hollow hatte nicht mal genügend Personal, um sicherzustellen, dass das Tempolimit eingehalten wurde, geschweige denn, um einen Mord aufzuklären. Sie wusste auch um die Zuständigkeiten in einer solchen Situation. Wenn die örtliche Polizei überfordert war, trat der County-Sheriff auf den Plan. Der aber wollte im Herbst wiedergewählt werden und hatte keine Lust, sich die Hände schmutzig zu machen. Wenn er die Ermittlungen durchführte, ohne sie zu einem positiven Abschluss zu bringen, würde das nur seine Reputation beschädigen. Also hatte Kat die Landespolizei eingeschaltet. Sie hatte ausreichend Personal und mit der von Nur-auf-dem-Papier-Lieutenant Donnelly geführten Spezialeinheit auch die geeigneten Mittel, diesen Fall aufzuklären. Vor allem wusste Kat, dass sie diese Leute dringender brauchte, als die sie brauchten, weshalb sie versprach, alles zu tun, was von ihr verlangt wurde.
Als Nick fragte, wo sein Team arbeiten könnte, bot sie ihm deshalb ihr Büro an und stellte ihm auch gleich ihren Assistenten Carl Bauersox zur Verfügung, der beflissen seinen schmächtigen Hals aus der viel zu engen Jacke reckte. Und als Nick sie unter vier Augen sprechen wollte, führte sie ihn zu ihrem Streifenwagen.
«Warum so heimlich?», fragte Kat.
Nick antwortete mit einer Gegenfrage. «Haben Sie jemals von dem Betsy-Ross-Killer gehört?»
«Nein. Interessanter Spitzname.»
«Ein blöder Name, wenn Sie mich fragen. Verantwortlich dafür ist der
Philadelphia Inquirer
.»
«Und warum wird dieser Kerl so genannt?»
«Ich schätze, Sie haben im Schulunterricht aufgepasst und wissen, dass Betsy Ross angeblich die erste US -Flagge genäht hat. Unser Killer kann ebenfalls ganz gut mit Nadel und Faden umgehen. Er hat die Wunden seiner Opfer nach deren Tod zugenäht und sie dann an einem öffentlichen Ort abgeladen.»
«Wie viele Opfer sind es?»
«Bislang drei. Das erste wurde letztes Jahr in einem Park in Philadelphia gefunden, das zweite wurde neun Monate später am Strand von Lake Erie
Weitere Kostenlose Bücher