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Das Schweigen der Toten

Das Schweigen der Toten

Titel: Das Schweigen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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nicht, was er von der Frau halten sollte, die neben ihm am Steuer saß. Er hatte Kat Campbell beobachtet, wie sie auf ihren Streifenwagen zumarschiert war und sich den Gurt angelegt hatte. Ihre Bewegungen zeugten von zackiger Dynamik und Effizienz, was sich auch in ihren Gesichtszügen niederschlug. Ihr spitzes Kinn war nach vorn gereckt, während die Mundwinkel nach unten deuteten.
    Aber Henry bemerkte auch ein paar Versuche, dem eher bestimmten Gesamtbild etwas Weibliches entgegenzusetzen. Ein helles Rosa lag auf den Lippen, an den Ohren steckten winzige Goldringe, und die offenbar dunkel gefärbten Haare waren von helleren Strähnchen durchzogen. Dass sie außerdem üppig ausgebildete Kurven hatte, konnte nicht einmal die gestärkte Uniform kaschieren, in der sie gleichzeitig taff und verletzlich wirkte.
    Und sie fuhr wie eine Wahnsinnige. Schon nach den ersten Metern hätte sie fast einen Hydranten niedergemäht und wenig später ein entgegenkommendes Fahrzeug gerammt.
    «Wann haben Sie die Anzeige bekommen?», fragte Kat. Sie steuerte durch eine kleine Seitenstraße in Richtung Main Street.
    «Sie lag im Faxgerät, als ich heute Morgen in mein Büro kam.»
    «Und um wie viel Uhr war das?»
    Henry musste sich am Armaturenbrett festhalten, als Kat das Steuer herumriss und in die Main Street einbog. «Um neun.»
    «Ich habe die Leiche kurz nach acht entdeckt. Vielleicht hat sich das rumgesprochen, und jemand ist auf die Idee gekommen, Sie zu benachrichtigen.»
    «Das erklärt aber nicht den Zeitstempel», entgegnete Henry. «Und bevor Sie fragen, ja, ich habe die Einstellungen der Faxuhr überprüft. Sie geht richtig.»
    «Und was ist mit der Nummer des Absenders?»
    Henry wusste, was sie meinte. Die Nummer des Absenders stand auf jedem Fax gleich neben dem Zeitstempel.
    «Die sagt mir nichts. Jedenfalls kam das Fax nicht von einem der Bestattungsunternehmen, mit denen ich sonst zu tun habe.»
    «Und wer hat es dann Ihrer Meinung nach geschickt?»
    «Ich vermute, derjenige, der George Winnick getötet hat.»
    Die Main Street war verstopft. Ein Lieferwagen von UPS blockierte die rechte Fahrbahn und zwang alle nachfolgenden Fahrzeuge, sich im Schneckentempo vorbeizuschieben. Kat schnaubte frustriert und umklammerte das Lenkrad so fest, dass ihre Knöchel weiß wurden.
    «Weiß sonst noch jemand von diesem Fax?»
    «Nein. Ich dachte, es wäre das Beste, Stillschweigen zu bewahren.»
    Kat schien nicht mehr zuzuhören. Sie warf einen Blick in den Rückspiegel, presste die Lippen aufeinander und blähte die Nasenflügel. «Festhalten», sagte sie und schaltete Blaulicht und Sirene ein.
    Den Fuß aufs Gaspedal gedrückt, wechselte sie auf die Gegenspur, raste an der wartenden Autoschlange vorbei und passierte schließlich auch den UPS -Lieferwagen, der den Verkehr aufhielt.
    «Konnten Sie das Kennzeichen erkennen?», fragte sie. «Ich sollte dem Kerl eine Ordnungsstrafe aufbrummen.»
    Henry war noch bleicher geworden und schüttelte den Kopf. Seiner Meinung nach hatte eher Chief Campbell ein Knöllchen verdient.
    Achselzuckend bog sie nach links in eine Seitenstraße ab, die zur Baker Street führte, an der die Grundschule lag.
    «Nehmen wir an, das Fax wurde tatsächlich gestern Abend um Viertel nach zehn gesendet», nahm sie das Gespräch wieder auf. «Wenn es tatsächlich vom Täter stammt, hätte er es also unmittelbar vor George Winnicks Tod abgeschickt. Aber warum sollte er das tun?»
    «Keine Ahnung», antwortete Henry. «Vielleicht als Warnung.»
    Kat seufzte. «Oder es war als Verspottung gedacht.»
    Das Schulgebäude kam in Sicht. Kat reihte sich mit dem Streifenwagen zwischen den parkenden Familienkutschen ein. Kaum hatte sie den Motor abgestellt, schwärmte eine Horde kleiner Kinder aus dem Schultor.
    «Tun Sie mir bitte einen Gefallen», sagte Kat mit Blick auf das Tor. «Behalten Sie die Geschichte für sich. Kein Wort zu Ihrem Redakteur oder zu anderen Kollegen.»
    «Alles klar.»
    Kat wandte ihren Kopf gerade lange genug vom Schultor ab, um ihm einen freundlich-überraschten Blick zuzuwerfen.
    «Ein treu ergebener Mitarbeiter sind Sie nicht gerade, oder?»
    «Meine Loyalität gilt denen, über die ich schreibe», erwiderte Henry. «Alles andere geht mich nichts an, also kümmere ich mich nicht darum.»
    «Eine gute Einstellung.»
    «Finde ich auch.»
    Unter den letzten Schülern, die die Schule verließen, waren zwei Jungen; der eine noch ganz klein und schmächtig, mit einer Brille auf der Nase, der

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