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Das Schweigen der Toten

Das Schweigen der Toten

Titel: Das Schweigen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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Amber etwa immer noch deine Babysitterin?»
    «Ich weiß, was du denkst», erwiderte Kat. «Und glaub mir, ähnliche Gedanken habe ich mir selbst schon gemacht.»
    «Dann dürfte dir ja klar sein, auf was du dich da einlässt.»
    Kat machte auf dem Absatz kehrt. Als sie sich dem Ausgang näherte, fragte sie: «Gibt es sonst noch was?»
    Lous Miene verriet leises Bedauern. «Da ist jemand von der
Gazette
», erklärte sie. «Er wartet im Pausenraum, schon seit fast zwei Stunden. Er will unbedingt mit dir über George Winnick reden.»
    Kat seufzte. «Wenn es Martin Swan ist, sag ihm, dass ich jetzt keine Zeit habe. Er soll später nochmal nachfragen.»
    «Es ist nicht Martin, sondern Henry Goll, der diese Nachrufe verfasst.»
    Der Name kam ihr bekannt vor, aber sie verband kein Gesicht damit, was sie ein wenig irritierte. Obwohl sie nicht alle Bewohner von Perry Hollow persönlich kennen konnte, hatte sie von den meisten immerhin eine vage Vorstellung.
    «Er sagt, es sei wichtig», fügte Lou hinzu.
    Kat änderte ein weiteres Mal die Richtung und steuerte auf den Pausenraum zu. Als Henry Goll sie sah, straffte er die Schultern und verschränkte die Arme vor der mächtigen Brust.
    Dass sie mit dem Namen Henry Goll kein Gesicht verband, hatte den schlichten Grund, dass sie ihm noch nie begegnet war. Er war groß – über eins achtzig – und kräftig gebaut. Als er jetzt auf sie zukam, bewegten sich geschmeidig seine Muskeln unter den Khaki-Hosen und dem schwarzen Polohemd.
    Kräftig war auch sein Gesichtsausdruck. Er hatte ein eckiges Kinn, eine wie gemeißelte Nase und dichte schwarze Haare. Ein Hingucker, dachte Kat, wenn da nicht die grässliche Narbe gewesen wäre, die diagonal über die untere Gesichtshälfte verlief. Entstellt war auch die obere Hälfte, die von einem großen Brandfleck beherrscht wurde, der sich fast über die gesamte Stirn und die linke Schläfe erstreckte. Die Haut war bleich – erschreckend bleich – und ließ die Makel umso deutlicher hervortreten.
    Kat lächelte. «Sie haben mir etwas Wichtiges zu sagen?»
    Henry lächelte nicht. «Können wir uns hier irgendwo ungestört unterhalten?»
    Sie warf einen Blick auf die Uhr und sah, dass sie noch fünf Minuten Zeit hatte. Im Unterschied zu ihr schien es Henry nicht eilig zu haben. «Ich habe jetzt leider keine Zeit und muss dringend weg. Könnten Sie noch ein Weilchen warten?»
    Henry holte ein faltiges Blatt Papier aus der Tasche und drückte es ihr in die Hand. Kat überflog den Text und las den Namen George Winnick.
    «Ist das Ihr Nachruf auf ihn?», fragte sie. «Ein bisschen mager, finden Sie nicht auch?»
    «Das ist eine Todesanzeige, kein Nachruf», entgegnete Henry.
    «Worin besteht der Unterschied?»
    «Ein Nachruf enthält Einzelheiten – über die Familie des Verstorbenen, seine berufliche Laufbahn, seine Hobbys. Eine Todesanzeige gibt einfach nur bekannt, dass jemand gestorben ist.»
    Kat blickte von Henrys Gesicht zurück auf den Zettel. «Dann wäre das also Georges Todesanzeige. Und was hat es damit auf sich?»
    «Damit hat es Folgendes auf sich», antwortete Henry mit einer Ruhe, die Kat nervös machte. «Es handelt sich um eine Fälschung.»
    «Wie kommen Sie darauf?»
    «Schauen Sie genau hin.»
    Kat gehorchte. Als sie den Todeszeitpunkt sah, den sie erst jetzt richtig zur Kenntnis nahm, hielt sie unwillkürlich die Luft an.
    «Und jetzt sehen Sie mal, was oben links in der Ecke steht», sagte Henry.
    An der genannten Stelle waren Datum und Uhrzeit des Faxausdrucks protokolliert. Sie hatte Georges Leiche an diesem Morgen um acht Uhr entdeckt. In der Anzeige hieß es, dass er um Viertel vor elf in der Nacht zuvor gestorben war. Der Zeitstempel aber lautete auf 22:15 Uhr. Das Fax war demnach dreißig Minuten vor dem angeblichen Todeszeitpunkt abgeschickt worden.
    «Das kann nicht wahr sein.»
    «Ich hab ja gesagt, es ist wichtig.»
    Kat warf wieder einen Blick auf die Uhr. Sie musste sofort los, und auf die Schnelle fiel ihr nur eine Möglichkeit ein.
    «Würden Sie mich bitte begleiten?», sagte sie. «Ich muss meinen Sohn von der Schule abholen. Auf dem Weg dorthin können Sie mir erzählen, was Sie wissen.»

Fünf
    Henry wusste nicht, wo er anfangen sollte. Es war nicht gerade leicht, vernünftig zu klingen, wenn man erzählen musste, dass offenbar jemand den Todeszeitpunkt seines Opfers per Fax mitgeteilt hatte, bevor dieser Mord überhaupt begangen worden war. Aber er wollte es zumindest versuchen.
    Er wusste auch

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