Das Schweigen der Toten
zu viel Stress, Donnelly. Das ist nicht gesund. Es wäre besser, du entspannst dich zur Abwechslung mal.»
Nick fuhr in Begleitung der Rolling Stones nach Perry Hollow. Für eine längere Autofahrt waren Jaggers spastische Stimme und der unerbittliche Sound der Band genau das Richtige. «Satisfaction», «Gimme Shelter» und «Brown Sugar» trieben ihn auf dem Highway voran. Als die Band Sympathie für den Teufel aufbrachte, hatte er Perry Hollow erreicht, wo ein Teufel anderer Art gerade einen der Bewohner gefordert hatte.
Der Tatort war schnell gefunden. Am Rand der Stadt hatte sich eine größere Menschenmenge versammelt. Die Straße war gesperrt, und er musste seinen Wagen nah an der Böschung parken.
Mit einem Blick durch die Windschutzscheibe verschaffte er sich einen ersten Eindruck. Neugierige reckten jenseits der Absperrung die Hälse und tuschelten miteinander. Die meisten waren sichtlich schockiert. Auf der anderen Seite hielten sich Beamte des Sheriffbüros und der Landespolizei auf. Auch sie tuschelten miteinander und wirkten ratlos bis entsetzt.
Unbeeindruckt zeigten sich nur drei Gestalten, die Nick gut kannte, denn sie arbeiteten für ihn.
Tony Vasquez war der Erste, der Nick entdeckte, als der mit gezücktem Ausweis unter dem Absperrband durchtauchte.
«Na bitte, ich hab’s doch gesagt», grüßte Tony und lupfte den Schirm seiner Mütze. Er trug als Einziger aus dem Team eine Uniform, in der er als Bodybuilder eine ziemlich einschüchternde Figur machte, was ihm, wie Nick wusste, ganz gut gefiel. Er trug sie aber auch mit Stolz. Nur zwei Prozent der Landespolizisten hatten einen lateinamerikanischen Hintergrund, und Tony war einer der besten. Und bei seinen Statistiken hatte er allen Grund, stolz zu sein.
«Wir haben Wetten darauf abgeschlossen, ob du kommst oder nicht», sagte er. «Ich habe gewonnen.»
«Wie viel?»
«Einen Zwanziger von Cassie und die Aussicht, im Bankdrücken gegen Rudy anzutreten.»
«Gratuliere, Vasquez.»
Rudy Taylor, der Bankdrücker, kniete am Straßenrand vor einem Schneefleck.
«Ist das die Stelle, wo er gefunden wurde?», fragte Nick.
Rudy nickte. «Zu Tode gekommen ist er aber woanders.»
«Woran siehst du das?»
«Hier ist kein Blut. Keine Kampfspuren. Nur die Kiste, in der er steckte.»
Rudy Taylor war der schräge Vogel im Team. Er war klein und spindeldürr und hatte einen Topfschnitt, der ihn aussehen ließ, als wäre er an der Grundschule der Vorsitzende des Physik-Clubs. Als Kriminaltechniker aber war er spitze. Wenn er einen Tatort unter die Lupe nahm, fand er in fünf Minuten mehr Indizien als ein ganzes Team in einer Stunde.
«Irgendwelche Reifen- oder Fußspuren?», fragte Nick.
Rudy erhob sich und stampfte zu Demonstrationszwecken über den hartgefrorenen Boden. «Auf dem Eis zeigt sich nicht viel. Ich habe allerdings da drüben auf dem Schneefleck was entdeckt.»
Er deutete auf einen Fußabdruck, der mit einem kleinen gelben Schild als Indiz markiert war.
«Schon gewachst?» Nick bezog sich auf ein Wachsmittel aus der Sprühdose, mit dem Abdrücke auch im Schnee kopiert werden konnten, ohne zerstört zu werden.
«Ja», antwortete Rudy. «Der Abdruck stammt von der Person, die den Fund gemeldet hat.»
«Wo ist der Leichnam?»
«Er wurde vor einer Viertelstunde in die Gerichtsmedizin gebracht», antwortete Cassie Lieberfarb, die ebenfalls zu Nicks Team gehörte. Sie stand hinter ihm und trug eine Baseballkappe der Polizeimannschaft auf ihren krausen, orangefarbenen Haaren. Die Füße steckten in den knallgrünen Galoschen, die sie als ihre Profiler-Stiefel bezeichnete.
«Wie war’s in Florida?», fragte sie und musterte Nicks Gesicht.
«Heiß und sonnig.»
«Und warum bist du so käsig?»
Nick zuckte die Achseln. «Ich hab mich eingecremt. Zur Sache, wer ist das Opfer?»
«Ein Mann, weiße Hautfarbe, Mitte sechzig», antwortete Tony.
«Also einer aus der Zielgruppe unseres Freundes», fügte Cassie hinzu.
«Wann wird die Autopsie vorgenommen?»
«Um vier.»
Nick zählte auf, was noch an diesem Tag zu tun war. Er und Cassie würden sich die Leiche ansehen, ehe sie unters Messer kam. Derweil sollte Rudy die Zusammenstellung und Untersuchung der Beweismittel beaufsichtigen. Tony bekam die Aufgabe, den besten Mitarbeiter des Sheriffbüros ausfindig zu machen und mit ihm Klinken zu putzen. Nick und seine Leute ahnten, wer der Täter war, hatten aber immer noch keinen Schimmer, warum er tötete.
«Wurde das Opfer bereits
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