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Das Schweigen der Toten

Das Schweigen der Toten

Titel: Das Schweigen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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Goll aus Perry Hollow starb am 31. Oktober im Alter von 39 Jahren.

Fünfunddreißig
    Das Schmerzmittel tat seine Wirkung. Nick merkte es daran, dass sich seine Muskeln allmählich entspannten. Zuerst machte es sich im rechten Bein bemerkbar, das, soeben noch eine eingegipste Qual, wohltuend gefühllos wurde. Bald entspannten sich auch Brust, Nacken und Arme.
    Er wurde schläfrig. Mit den Schmerzen verschwanden auch Wut und Ärger, die sich aber spätestens morgen, wie er ahnte, zurückmelden würden.
    Auf seinem Schoß lag das Album mit den Artikeln über seine Schwester. Es war mit seinen anderen persönlichen Dingen aus dem schrottreifen Wagen geborgen und ihm gebracht worden. Als er das Album aufschlug, fand er darin nicht nur die Ausschnitte, sondern auch seine Notizen über Meister Tod und dessen Verbrechen. Die Fotos und Schlagzeilen hätten jeden anderen beunruhigt, doch für Nick waren sie Balsam. Sie bei sich zu haben, tat ihm gut, denn sie vermittelten ihm das Gefühl, immer noch an der Aufklärung der Mordfälle beteiligt zu sein.
    Benommen von den Medikamenten, betrachtete er das Buch, als er vor der Tür eine inzwischen vertraute Stimme hörte.
    «Tut mir leid, Ma’am, aber Sie können da nicht rein.»
    Es war Harry – oder Gary? –, der vor seiner Tür postierte Fascho-Pfleger. Er hatte im Laufe des Tages bereits drei Besucher abgewiesen und versuchte es nun beim vierten. Doch diese Besucherin ließ sich nicht abwimmeln.
    «Es geht um Leben und Tod. Ich muss ihn sprechen.»
    «Tut mir leid», entgegnete Harry-Gary. «Zutritt verboten.»
    «Ich bin von der Polizei und werde jetzt durch diese Tür gehen.»
    Der Nebel in Nicks Kopf lichtete sich ein wenig, nicht viel, aber genug, um Kat Campbell an der Stimme zu erkennen.
    «Wenn ich Sie reinlasse, kriege ich Ärger», sagte Harry-Gary.
    «Das ist nicht mein Problem.»
    Sekunden später stürmte Kat ins Zimmer. Sie warf die Tür hinter sich zu, eilte ans Bett, ergriff Nick bei den Schultern und schüttelte ihn.
    «Nick? Wach auf!»
    Teile des von den Medikamenten lahmgelegten Patientengehirns nahmen wieder ihre Arbeit auf. Nick schätzte, dass ungefähr die Hälfte wieder funktionierte.
    «Ich bin wach», erwiderte er. «Was ist los? Warum bist du gekommen?»
    Kat schüttelte ihn immer noch. «Wegen Meister Tod.»
    «Was ist mit ihm?»
    «Er hat Henry.»
     
    Nach und nach, langsam wie ein Gletscher, tauchte Henry aus seiner Bewusstlosigkeit auf. Obwohl wach, hielt er die Augen geschlossen. Sie zu öffnen, hätte ihn mehr Kraft gekostet, als er hatte.
    Er lag ausgestreckt auf dem Rücken und glaubte, wahrnehmen zu können, dass sich unter ihm etwas bewegte, etwas, das seinen ganzen Körper vibrieren ließ. Er lauschte angestrengt und hörte Fahrgeräusche und Motorenbrummen.
    Er befand sich in einem Fahrzeug, unterwegs zu einem unbekannten Ziel.
    Seine Schultern waren eingezwängt. Er spürte etwas Hartes an den Seiten. Weil er zu schwach war, die Arme zu bewegen, tastete er mit den Fingern. Sie fuhren über eine ebene, raue Oberfläche.
    Holz, registrierte er. Er lag auf Holz.
    Die Finger beider Hände zur Seite gespreizt, befühlte er, was ihn links und rechts einengte. Auch das war Holz.
    Der ächzende Laut, den er von sich gab, wurde unmittelbar über seinem Gesicht zu ihm zurückgeworfen und war gefangen wie er selbst.
    Er wurde wieder müde. Das Nachdenken, die Fingerbewegungen hatten ihn erschöpft. Er verlor das Bewusstsein und trieb so langsam zurück in den Schlaf, wie er daraus erwacht war.
    Wo –
    Der Nebel war immer noch da.
    - bin –
    Er hüllte ihn ein.
    - ich?
    Während er in den Schlaf sank, dämmerte ihm die Antwort. Es war eigentlich offensichtlich, doch er hatte es nicht wahrhaben wollen. Jetzt war ihm klar, wo er sich befand.
    Er lag, unerklärlich für ihn, wieder in einem Sarg.
     
    Nick richtete den Oberkörper ein wenig auf, schaffte es aber kaum, sich auf den Ellbogen zu halten. Seine geweiteten Pupillen verrieten, dass er starke Medikamente bekommen hatte. Kat hoffte, dass er so wach war wie behauptet, wach genug, um ihr zu helfen. Sie war auf seine Hilfe angewiesen.
    «Seit wann?», fragte Nick.
    «Seit zehn Minuten.»
    Er richtete den Blick auf die Uhr neben seinem Bett. «Das heißt, er hat ungefähr –»
    Zwanzig Minuten. Kat war zu demselben Ergebnis gekommen. In spätestens zwanzig Minuten mussten sie ihn gefunden haben.
    «Wo könnten wir nach ihm suchen?», fragte sie. «Wo soll ich anfangen?»
    «Versetz

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