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Das Schweigen der Toten

Das Schweigen der Toten

Titel: Das Schweigen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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andere größer, aber auch langsamer. Er strahlte, als er den Streifenwagen sah. Ein Junge mit Down-Syndrom, wie Henry bemerkte.
    «Da ist ja mein kleiner Bär», sagte Kat. Sie sprang aus dem Wagen und drückte ihm einen herzhaften Kuss auf die Wange.
    Er fuhr sich mit dem Handrücken übers Gesicht, als wollte er den Kuss wegwischen. «Mom, nicht vor Jeremy.»
    Der Junge sprach mit schleppender Stimme, aber nicht so undeutlich, wie Henry es von anderen Menschen mit Down-Syndrom kannte. Er trug Jeans und ein übergroßes Sweatshirt der Philadelphia Eagles, was darauf schließen ließ, dass Kat ihn so behandelt wissen wollte wie alle anderen Jungen.
    «Was macht die Erkältung?», fragte sie ihn. «Besser geworden?»
    Der Junge nickte. «Ich habe heute nur elf Mal gehustet.»
    «Elf Mal? Na, besser als zwölf.»
    Kats Lächeln hatte nichts mit dem verkniffenen gezwungenen Grinsen zu tun, das Henry bisher an ihr gesehen hatte. Es machte sie um einiges attraktiver.
    Kat öffnete die hintere Wagentür und ließ die beiden Jungen einsteigen. Ihr Sohn streckte Henry eine Patschhand entgegen.
    «Hi, ich bin James.»
    «Und ich bin Henry.»
    Der andere Junge rümpfte bei Henrys Anblick die Nase, wodurch seine Brille auf und ab hüpfte.
    «Was ist mit Ihrem Gesicht passiert?»
    James gab ihm einen Klaps auf die Schulter. «Sei nicht so frech.»
    «Ich habe doch bloß gefragt», erwiderte der Kleine.
    «Das ist mein Freund Jeremy», stellte James vor. «Er ist ein bisschen dumm im Kopf.»
    Jeremy grummelte: «Du bist ein bisschen dumm im Kopf.»
    Kat setzte sich ans Steuer und warf den beiden im Rückspiegel einen strengen Blick zu. «Ihr seid beide ein bisschen dumm im Kopf. Ende der Diskussion.»
    Die Kinder fingen an zu kichern. «Mom hat gesagt, wir sind dumm im Kopf», rief James. «Das ist komisch.»
    Henry hätte es wohl auch lustig finden sollen, aber er fühlte sich in Gegenwart der Jungen so unwohl, dass ihm jeder Sinn für Humor abging. Er konnte nicht gut mit Kindern umgehen. Nicht mehr. Normalerweise konnte er es für kurze Zeit ertragen, mit ihnen Kontakt zu haben, aber dies war zu viel für ihn. Er musste aus dem Auto raus.
    «Ich muss gehen», murmelte er.
    «Aber wir sind doch noch nicht fertig», sagte Kat, irritiert von seinem plötzlichen Stimmungswandel. «Sie müssen noch einmal auf die Polizeistation kommen, damit wir Ihre Aussage zu Protokoll nehmen können.»
    Henry schüttelte den Kopf und spürte, wie sich Tränen in den Augenwinkeln bildeten. Er wollte nicht, dass man ihn weinen sah. Henry Ghoul weinte nicht. Schon gar nicht vor Kindern.
    «Ich kann jetzt nicht.» Er öffnete die Tür und stieg aus. «Wenn Sie mich brauchen, wissen Sie ja, wo Sie mich finden.»
    Kat musste ihn ziehen lassen. Als sie losfuhr, pressten James und Jeremy die Nasen an die Scheiben und winkten. Henry brachte die Andeutung eines Winkens zustande. Dann, als sie verschwunden waren, stiegen die Wut und die Trauer in ihm auf, die er selbst nach fünf Jahren nur schwer unter Kontrolle halten konnte. Trotzdem bemühte er sich darum. Er atmete tief durch, und während die Wut in ihm tobte, brach sich nur eine einzige Träne Bahn. Sie rann auf die Narbe und folgte ihrer Spur durch sein Gesicht.

Sechs
    Als Kat und James zu Hause ankamen, wartete Amber Lefferts bereits auf der Veranda. Sie war nicht allein. Ein großgewachsener junger Mann mit schwarzen Haaren lehnte neben ihr am Geländer. Einen seiner beeindruckend muskulösen Arme hatte er um die Schultern der Babysitterin gelegt, der andere war um ihre Taille geschlungen, die Hand schlich sich in Richtung der rechten Brust.
    Der junge Mann hörte sofort auf, Amber zu befummeln, als er den Streifenwagen in die Einfahrt einbiegen sah. Aber trotz ihrer Geschwindigkeit hatte Kat alles gesehen. Als sie aus dem Wagen stieg, zeigte ihr der Grabscher ein dämliches Grinsen.
    Kat kannte ihn. Jeder in der Stadt kannte Troy Gunzelman, den gefeierten Quarterback der Perry-Hollow-Cougars. Er war in seiner Altersgruppe einer der besten überhaupt, und man sagte ihm eine steile Karriere voraus. Es hieß, dass die Penn State University an ihm interessiert sei, was für ein so kleines Nest wie Perry Hollow eine Sensation war.
    «Einen wunderschönen Tag, Mrs.Campbell», schleimte Troy. «Wie geht es Ihnen?»
    «Für Sie Chief Campbell. Und verheiratet bin ich auch nicht.»
    Sie musterte Troy mit kritischem Blick. Er sah nicht nur verdammt gut aus, sondern hatte mit seinen scharfgeschnittenen

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