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Das Schweigen der Toten

Das Schweigen der Toten

Titel: Das Schweigen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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gerade seinen Anruf beendet und steckte sein Handy in die Tasche. Er wirkte ein wenig durcheinander.
    «Das war Vasquez, wie ich dachte.»
    «Gibt’s was Neues?»
    «Allerdings», antwortete er. «Oben in New York wurde vor einer halben Stunde ein Mann festgenommen. Er ist in eine Radarfalle gerast, war wohl in Richtung kanadische Grenze unterwegs. In seinem Auto wurden ein gefälschter Pass, Nähnadeln und schwarzes Garn sichergestellt. Und da hat er gestanden.»
    «Was hat er gestanden?»
    «Der Betsy-Ross-Killer zu sein.»
    Die Nachricht kam so überraschend wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
    «Sie haben ihn geschnappt?»
    «Offenbar», sagte Nick ungläubig. «Er hat gestanden, vier Leute getötet zu haben, unter anderem – und jetzt kommt’s – George Winnick.»

Vierzehn
    Der Mann wirkte schlicht und sprach leise. Seine Augen waren braun, genau wie seine schütteren Haare, die allerdings etwas heller waren. Er war weder groß noch klein, weder ansehnlich noch hässlich und entsprach dem Typ Mann, den man zwei Minuten nach der ersten Begegnung schon wieder vergessen hat.
    Sein Name war Ken Miller, doch die ganze Welt kannte ihn als den Betsy-Ross-Killer. Nach viermonatiger Funkstille und ebenso langem Warten konnte Nick Donnelly sich nun endlich mit ihm unterhalten.
    «Guten Tag», sagte Ken Miller. «Danke, dass Sie heute gekommen sind.»
    «Danke, dass Sie endlich reden.»
    Der Mann nickte, als hätte er ein Kompliment bekommen. «Ich fand, es wird allmählich Zeit.»
    Unmittelbar nach seiner Verhaftung war er geradezu geschwätzig gewesen, hatte vier Morde gestanden, anschließend aber kein Wort mehr gesagt. Es war, als hätte ein Radio, nachdem es die erste Minute eines spannenden Footballspiels übertragen hatte, plötzlich seinen Geist aufgegeben; alle wollten das Ergebnis wissen, aber da war keine Stimme, die Auskunft hätte geben können.
    Natürlich hatte man mit allen rechtlichen Mitteln versucht, ihn zum Sprechen zu bringen. Ken Miller aber blieb stumm, monatelang. Als ein Wächter ihm dann irgendwann das Essen brachte, wurde er mit den Worten begrüßt: «Ich will auspacken.» Dann sagte der Gefangene auch noch, wann. «Am 4. Juli.»
    Das war vor zwei Tagen gewesen. Jetzt, am 4. Juli, saßen er und Nick allein in einer streng gesicherten Zelle des Staatsgefängnisses am Stadtrand von Binghamton. Zwischen ihnen stand ein Metalltisch. Ken Miller war mit Handschellen daran gefesselt. Hinter der Tür hatte ein bewaffneter Wächter Posten bezogen, dem zwei Kollegen Rückendeckung gaben.
    «Warum wollten Sie unbedingt heute reden?», fragte Nick.
    «Weil es zu dem Spitznamen passt, den man mir gegeben hat», antwortete der Betsy-Ross-Killer.
    «Was halten Sie denn von diesem Namen?»
    Wenn Nick einen Mörder verhörte, hatte er normalerweise etwas zu schreiben bei sich. Weil aber niemand wusste, wozu Ken Miller imstande war, hatte man kein Risiko eingehen wollen. Also musste Nick auf einen Stift verzichten und versuchen, Kens Aussagen in Erinnerung zu behalten.
    «Find ich zwiespältig», antwortete der.
    «Sie wissen aber, warum Sie so genannt werden, oder?»
    «Natürlich. Weil ich gut nähen kann.»
    «Wer hat Ihnen das beigebracht? Ihre Mutter?»
    Ken legte die Hände auf die Tischplatte und formte mit den Fingern eine Pyramide. «Mein Vater.»
    Nick wusste, dass es einer der beiden gewesen sein musste. Alles, wozu man im Guten wie im Schlechten fähig war, ging letztlich auf die Eltern zurück. Edgar Sewell hatte ein Beispiel dafür geliefert. Ein anderes lieferte nun Ken Miller.
    «Wo war Ihre Mutter die ganze Zeit über?»
    «Weg. Durchgebrannt mit einem Freund der Familie, um in Sünde zu leben. Ich war damals zwölf, allein mit meinem Vater.»
    «Hat er Sie missbraucht?», fragte Nick.
    «Das würde Ihnen wohl gefallen. Wäre ja auch eine schön einfache Erklärung für das, was ich getan habe. Aber so einfach ist es nicht, Lieutenant. Es lässt sich nicht alles so ordentlich vernähen, wenn Sie verstehen, was ich meine.»
    «Lebt Ihr Vater noch?»
    Ken schüttelte hastig den Kopf. «An meinem achtzehnten Geburtstag habe ich ihn umgebracht, mit drei Messerstichen, und dann im Garten vergraben, nachdem ich die Wunden zugenäht habe, nur um zu zeigen, wie gut ich’s gelernt habe.»
    Das fünfte Opfer des Betsy-Ross-Killers. Nick machte sich eine geistige Notiz und legte sie gleich neben der Notiz ab, auf der das Wort «zwiespältig» stand.
    «Er war also Ihr erstes Opfer.»
    «Ja. Nummer

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