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Das Schweigen der Toten

Das Schweigen der Toten

Titel: Das Schweigen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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wie Perry Hollow und letzte Ruhestätte für die meisten seiner Einwohner. Wenn man sein Leben in der Stadt verbrachte, war die Wahrscheinlichkeit groß, dass man auch nach dem Tod dort blieb. Auch Kats Eltern und Großeltern lagen auf diesem Friedhof begraben, und es war zu erwarten, dass sie selbst ebenfalls dort enden würde.
    Nick saß neben ihr, als sie mit ihrem Crown Vic auf den kiesbestreuten Parkplatz einbog. Er betrachtete den schmiedeeisernen Torbogen über der Einfahrt.
    «Hier arbeitet dieser Lucas Hatcher?»
    «Sagt jedenfalls seine Mutter.»
    Zu dieser Uhrzeit war der Friedhof verlassen. Auf dem Parkplatz stand kein einziges Fahrzeug. Zu hören waren nur das Knirschen ihrer Schritte und der Wind in den Zweigen der Eichen, nach denen der Friedhof benannt war. Doch als sich die beiden der Friedhofsmitte näherten, hörten sie aus einem entfernten Winkel dumpfes Motorengeknatter.
    «Das wird er sein», sagte Kat.
    Hinter einem marmornen Grabgewölbe erblickte sie Lucas Hatcher, der mit einem kleinen Bagger ein Loch aushob. Als er sie kommen sah, schaltete er den Motor aus und sprang von der Maschine.
    «Sie schon wieder», sagte er.
    «Ja, ich schon wieder.»
    Von der kurzen Begegnung am Vorabend abgesehen, hatten sie das letzte Mal vor drei Jahren miteinander gesprochen, als er von ihr verhaftet worden war. Er hatte den einzigen Schnapsladen in der Stadt überfallen und eigentlich alles richtig gemacht: sich mit Sonnenbrille, Hut und Perücke getarnt, Stiefel mit hohen Absätzen getragen, um größer zu erscheinen, die Überwachungskameras außer Betrieb gesetzt, die großen, wahrscheinlich markierten Geldscheine in der Kasse gelassen und sichergestellt, dass der Ladenbesitzer selbst unbewaffnet war. Aber dann, als er sich gerade aus dem Staub machen wollte, war seine Mutter – vom Timing her denkbar ungünstig – zur Tür hereingekommen, um ein Sixpack zu kaufen. Sie hatte ihn an der Stimme erkannt.
    «Wie ich sehe, haben Sie einen Job», sagte Kat. «Wie haben Sie das denn so schnell geschafft?»
    «Der Friedhofsgärtner hat ein gutes Wort für mich eingelegt.»
    «Nett von ihm. Ich schätze, Sie haben großen Eindruck auf ihn gemacht. Stimmt die Bezahlung?»
    Kat wollte im Grunde wissen, ob er genug Geld verdiente, um nicht wieder in die Versuchung zu kommen, sich an fremdem Eigentum zu vergreifen. Lucas ahnte, wie die Frage gemeint war, und grinste feixend.
    «Ich komme zurecht.»
    Trotz der Kälte war sein Gesicht gerötet, wodurch die Pigmentstörung weniger auffiel. Aber Kat konnte den Fleck auf der rechten Seite trotzdem deutlich sehen.
    «Wer ist der da?», fragte er mit Blick auf Nick Donnelly.
    «Ein Kollege. Er observiert. Und ich möchte mit Ihnen reden.»
    «Worüber?»
    «Über George Winnick. Kannten Sie ihn?»
    Lucas schüttelte den Kopf.
    «Wissen Sie, wo er wohnte?», hakte sie nach.
    «Nein. Aber ich weiß, wo er demnächst wohnt.»
    Lucas zeigte auf das Loch, das er ausbaggerte. Kat hatte sich bislang noch nicht gefragt, warum er schon so früh auf dem Friedhof war. Jetzt ging ihr ein Licht auf. Er hob George Winnicks Grab aus.
    «Wo waren Sie Sonntagabend zwischen zehn und elf Uhr?»
    «Sie glauben doch wohl nicht, dass ich ihn umgebracht habe?»
    Kat wusste selbst nicht, was sie glaubte. Sie starrte ihm in die Augen, auf seine Hände und auf den sonderbaren Fleck im Gesicht. Er passte durchaus in das von Cassie Lieberfarb grob entworfene Profil, war kräftig und verroht. Aber war er auch imstande zu töten?
    «Wer weiß?», entgegnete sie. «Sagen Sie mir, wo Sie zur genannten Zeit waren.»
    «Im
Jigsaw
. Da bin ich jeden Abend.»
    Das
Jigsaw
war eine Kneipe am unteren Ende der Main Street, ein Überbleibsel aus den Tagen der Perry Mill. Dort hatten die Arbeiter ihr Feierabendbier getrunken und über ihre Vorgesetzten hergezogen. Heute trafen sich dort die Säufer der Stadt. Kat konnte sich Lucas dort gut vorstellen: mit einem riesigen Krug Bier in der Hand und stumpfem Blick.
    «Kann das jemand bezeugen?»
    «Ja, der Wirt.»
    Genau dem wollte Kat jetzt einen Besuch abstatten. Sie wandte sich zum Gehen und bedeutete Nick, ihr zu folgen. «Wir sehen uns bald wieder. Und unterstehen Sie sich, wieder mit Ihrer Flinte herumzuballern», sagte sie zum Abschied.
    «Und was, wenn ich’s doch tue?»
    «Es wäre dumm von Ihnen, Lucas, glauben Sie mir.»
     
    Das
Jigsaw
sah von außen schmuddelig und düster aus, ein Loch in einer farblosen Wand. Über der Tür hing eine Neonleuchte in

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