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Das Schweigen der Toten

Das Schweigen der Toten

Titel: Das Schweigen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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vergangenen vier Monate immer wieder gefürchtet, dass sie ihn irgendwann zu so etwas auffordern würde. Jedes Mal, wenn er mit ihr telefonierte, musste er an den Abend im Bestattungsinstitut zurückdenken, als er ihr einen Korb gegeben hatte. Zu seiner Erleichterung war er vor weiteren Avancen verschont geblieben. Bis jetzt.
    «Danke für das Angebot», erwiderte er. «Ich wäre gern darauf eingegangen, wenn ich nicht schon was anderes vorhätte.»
    Henry ahnte, dass sie ihn durchschaute, und als sie auflegte, hatte er ein schlechtes Gewissen, obwohl er sich einredete, dass es so das Beste sei. Er wollte ihr – und sich selbst – nicht weh tun.
    Statt gleich nach Hause zu gehen, blieb er noch im Büro. Die Jugendlichen hatten den Parkplatz geräumt und Ruhe einkehren lassen. Henry konnte seiner Oper wieder in Frieden lauschen. Er schaltete das Licht aus und drehte die Lautstärke auf. Im Sessel zurückgelehnt, ließ er die Musik auf sich wirken.
    Gut zehn Minuten verharrte er in dieser Position und rührte sich erst, als die Faxmaschine zu surren anfing. Er blickte über die Schulter und sah ein Blatt Papier aus dem Schlitz rutschen.
    Eine späte Todesanzeige. Deana hatte sich offenbar geirrt.
    Seufzend drehte er die Musik leiser, schaltete die Schreibtischlampe an und griff nach dem noch warmen Blatt Papier.
    Troy Gunzelman aus Perry Hollow starb am 4. Juli um 18:30 Uhr im Alter von 17 Jahren.
    Henry warf einen Blick auf die Uhr und sah, dass es Punkt sechs war. Ihm brach kalter Schweiß aus. Es war, als hätte man ihn in Eiswasser getunkt. Er hatte gehofft, nie mehr ein solches Fax zu erhalten, und nach vier Monaten auch zu glauben gewagt, dass er in Zukunft davon verschont bleiben würde.
    Nun aber war ihm eine zweite solche Anzeige zugeschickt worden. Er las sie wieder und wieder, suchte nach Abweichungen oder Besonderheiten, fand aber keine. Der einzige Unterschied zu dem Fax, das George Winnicks Tod angekündigt hatte, bestand darin, dass Name und Datum ausgetauscht worden waren.
    Das Entsetzliche würde sich wiederholen.
    Henry griff hektisch zum Hörer und wählte die Nummer der Polizei. Als sich Louella van Sickle meldete, platzte es aus ihm heraus: «Hier Henry Goll von der
Gazette
. Ich muss sofort Chief Campbell sprechen.»
    «Sie ist auf dem Straßenfest», bekam er zur Antwort. «Vermutlich am Stand des Elternbeirats. Ich könnte ihr eine Nachricht hinterlassen.»
    Lieber wollte Henry nach ihr suchen. «Nicht nötig», sagte er und legte auf. Mit dem Fax in der Hand rannte er die Treppe hinunter und stürzte sich ins Getümmel auf der Main Street, wo allgemeine Heiterkeit herrschte.
    Nur Henry wusste von dem drohenden Unheil. Er musste schnellstens Kat informieren. Endlich entdeckte er zwei Straßenecken weiter den vom Elternbeirat aufgebauten Wassertank. Wenn Lou van Sickle recht hatte, würde sich die Polizeichefin dort aufhalten, und er konnte nur hoffen, dass es noch nicht zu spät war.

Fünfzehn
    Als sie aus dem Wasser auftauchte, sah Kat Henry Goll auf sich zu rennen. Er blieb neben Carl vorm Wassertank stehen und rang nach Luft. Kat hatte ihn seit März nicht gesehen und war bei seinem Anblick sofort alarmiert.
    «Henry?», sagte sie, bis zur Hüfte im lauwarmen Wasser stehend. «Was ist los?»
    Als sie den Zettel in seiner Hand sah, schwante ihr Böses, und die einzige Frage, die sich ihr stellte, war, wessen Name auf dem Papier stand.
    Der Wassertank war immer noch von Menschen umringt. Sie drängten näher, um die Polizeichefin durchnässt und entwürdigt aus dem Becken steigen zu sehen. Bislang hatte niemand den Zettel in Henrys Hand bemerkt. Damit es dazu auch nicht kam, versuchte sie, Henry mit einer unauffälligen Geste zu verscheuchen.
    Carl schaltete schnell und führte Henry durch die Menge davon, während Kat über die angelehnte Leiter aus dem Becken kletterte und sich ein Handtuch schnappte.
    «Chief!», rief Carl. «Kommen Sie her!»
    Immer noch tropfnass, gönnte sich Kat einen Moment der Ruhe, der Ruhe vor dem Sturm. Dann eilte sie auf Henry zu und fragte: «Wer ist es diesmal?»
    «Jemand namens Troy Gunzelman.»
    Kat schnappte nach Luft. Troys Mutter befand sich auf der anderen Seite des Standes, womöglich in Hörweite. Das war schlimm. Schrecklich.
    «Sind Sie sicher?»
    Sie wollte so gern, dass es ein schlechter Scherz war. Vielleicht hatte sich herumgesprochen, dass der Mord an George Winnick per Fax angekündigt worden war, und irgendein Trittbrettfahrer versuchte,

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