Das Schweigen der Toten
zwei war der aus Philadelphia. Dann kam dieser freundliche Gentleman vom Lake Erie. Dann der Camper.»
Seine Angaben stimmten mit den Fakten überein. Ken Miller gab Auskunft über seine Taten, wenn auch erst nach vier Monaten.
«Womit wir in Perry Hollow angekommen wären», sagte Nick.
Die Fingerpyramide kollabierte plötzlich.
«Tut mir leid, an diese Stadt kann ich mich nicht erinnern.»
«Ihr letztes Opfer», half ihm Nick. «George Winnick. Sie haben ihm den Mund zugenäht.»
«Ach, der.» Ken winkte ab, als handelte es sich um ein Versehen. «Davon habe ich im Radio gehört, als ich auf dem Weg nach Kanada war.»
Nick spürte einen Knoten im Magen. «Sie haben davon
gehört
?»
«Es geht doch um diesen Toten im Sarg, stimmt’s? Das war so eine gute Idee, ich wünschte, ich wär selbst draufgekommen. Deshalb hab ich der Polizei gesagt, dass ich es gewesen wär, nur so, aus Jux und Dollerei, wie man so schön sagt.»
Der Knoten zog sich fester zusammen. Nicks Hand wanderte unwillkürlich zu seinem Bauch. Das Herz schlug ihm bis zum Hals.
«Sie haben George Winnick nicht umgebracht?»
«So ist es», antwortete Ken. «Tut mir leid, ich war’s nicht.»
Nick musste an sich halten. Ihm wurde übel angesichts eines Mannes, der es bedauerte, nicht auch einen fünften Menschen ermordet zu haben, aber alle Welt glauben gemacht hatte, dass er es gewesen war. Übel wurde ihm nicht zuletzt auch deshalb, weil Georges Mörder immer noch irgendwo frei herumlief und womöglich darauf wartete, wieder zuschlagen zu können.
Von ihrem Platz aus hatte Kat einen unverstellten Blick auf die Main Street. Hunderte von Fußgängern trotzten der Julihitze und schlenderten an den Marktständen vorbei, an denen es Kunstgewerbliches und kleine Speisen zu kaufen gab. Eine Menschenmenge hatte sich vor der Bühne neben
Big Joe’s
versammelt, auf der eine Band mit Pfeifen und Trommeln patriotische Lieder zum Besten gab. Die Musik war auf der ganzen Straße zu hören und bildete den Soundtrack für die Festlichkeiten zum nationalen Feiertag.
Der einzige Nachteil an Kats schönem Ausblick war, dass sie am Stand des Elternbeirats hockte – über dem Wasserbecken. Sie war bisher noch nie bei den Treffen des Elternbeirats gewesen – für so was hatte sie keine Zeit –, aber als Polizeichefin war sie von den anderen Müttern zum Ehrenmitglied ernannt worden. Und offenbar bestand die Ehre darin, die letzte halbe Stunde des Straßenfestes in einem Maschendrahtkäfig auf einer Planke zu sitzen, die über gut einem Kubikmeter Wasser schwebte.
Sie trug abgeschnittene Jeans über einem einteiligen Badeanzug und blickte auf Lisa Gunzelman herab, die Vorsitzende des Elternbeirats, die neben dem Wasserbecken stand. Lisa war mit einem T-Shirt ausstaffiert, das aussah wie die amerikanische Flagge, und hatte eine dazu passende Sonnenblende im Haar. Als Vorsitzende blieb ihr der Tauchgang erspart, was Kat ein wenig wurmte. Genau wie der Eifer, mit dem Lisa potenzielle Kunden anlockte.
«Versenkt unsere Polizeichefin!», brüllte sie und hielt die Bälle in die Höhe, mit denen Kat ins Wasser geschickt werden sollte. «Ein Wurf nur einen Dollar.»
Jasper Fox war der Erste und blätterte Lisa drei Dollar in die Hand. Als er zum Wurf ausholte, funkelten seine Augen unbarmherzig, was Kat sich damit erklärte, dass sie seinen gestohlenen Lieferwagen immer noch nicht gefunden hatte. Wahrscheinlich war er längst außer Landes gebracht und verkauft worden. Im April hatte sich Jasper einen neuen Wagen zugelegt und das Logo seiner
Awesome Blossoms
an prominenter Stelle aufmalen lassen. Was die Pistole anging, die er im Handschuhfach des alten Lieferwagens zurückgelassen hatte, hoffte Kat, dass sie nie nach Perry Hollow zurückkehren würde.
Obwohl von Lisa Gunzelman lautstark angefeuert, verfehlte Jaspers erster Versuch das Ziel deutlich. Auch sein zweiter und dritter Wurf gingen daneben, was die Zuschauer mit Buhrufen quittierten.
Als die Bewohner von Perry Hollow sich das letzte Mal so zahlreich versammelt hatten – im März –, war George Winnick beerdigt worden. Liza Gunzelman war in Begleitung ihres Sohnes Troy da gewesen, der als einer der Sargträger fungiert hatte. Deana Swan war ebenfalls erschienen, genau wie ihr Bruder, der für die
Gazette
davon berichtete. Der Vater von Amber Lefferts hatte ein Gebet gesprochen, und Arthur und Robert McNeil hatten dafür gesorgt, dass das Protokoll eingehalten wurde. Sogar Lucas Hatcher,
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