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Das Schweigen der Toten

Das Schweigen der Toten

Titel: Das Schweigen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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doch nicht vergessen. Aber man muss sich auch irgendwann lösen können von dem, der gestorben ist.»
    Sie starrte ihm so intensiv in die Augen, dass er sich fragte, ob sie über seine Vergangenheit besser Bescheid wusste als angenommen, was er sich aber kaum vorstellen konnte. Er hatte sein Geheimnis sorgfältig gehütet. In Perry Hollow kannte man nur den Henry der Gegenwart, einen griesgrämig verschlossenen, verunstalteten Mann, der zugezogen war. Als ein anderer wollte er auch nicht in Erscheinung treten.
    «Ich mag Sie, Henry», sagte Deana leise. «Sie sind ein guter Kerl, und von dieser Sorte gibt es nicht viele bei uns. Glauben Sie mir, ich habe mich umgesehen.»
    Sie rückte näher, so dicht an ihn heran, dass ihn ihr leichtes, süßes Parfüm in der Nase kitzelte. Sie wollte ihn küssen. Zu seiner eigenen Überraschung gefiel ihm die Aussicht darauf.
    Der Kuss war ein Küsschen auf die Wange. Aber dann strichen Deanas Lippen seine Wange hinunter, bis sie auf seinem Mund lagen. In diesem Moment explodierte in seinem Kopf ein elektrischer Stoß, der sofort bis in den Unterleib zischte. Deana küsste anders als Gia, sehr viel frecher, als er es kannte. Ihre Zunge umspielte seine, zog sich zurück und liebkoste seine Lippen. Doch als sie die Narbe erreichte, war es mit Henrys Erregung schlagartig vorbei.
    «Nein, nicht», sagte er und schob sie sanft von sich.
    Deana schien verwirrt und verletzt. «Was ist?»
    «Sie … Du bist eine wunderbare Frau, aber ich bin für so was nicht bereit.»
    Er spürte einen schmerzlichen Stich in der Schläfe. Wahrscheinlich war das Brandmal knallrot angelaufen. Er führte seine Hand zu der Narbe und befühlte die Stelle, die Deana soeben geküsst hatte.
    «Es war doch nur ein Kuss», sagte sie, «keine große Sache.»
    «Das ist es ja. Für mich ist es eine große Sache.»
     
    Nachdem er Deana schnell nach Hause gebracht hatte, kehrte Henry in seine Wohnung zurück und versuchte zu schlafen. Doch das abrupte, missliche Ende der nächtlichen Begegnung mit Deana machte ihm zu schaffen. Er stellte sich Troy Gunzelman in dem schwimmenden Sarg vor. Er dachte an Deanas enttäuschte Miene, als er sie abgewiesen hatte. Und als er schließlich einnickte, träumte er, sein Gehirn sei ein Fernsehapparat, der von einer ungeduldigen Fernbedienung kontrolliert wurde.
    Als er aufwachte, war er so erschöpft wie am Abend zuvor. Dabei hatte er zu arbeiten. Ganz oben auf seiner Agenda stand der Nachruf auf Troy.
    Benommen stieg er aus dem Bett und folgte seiner allmorgendlichen Routine. Als er die Wohnungstür öffnete, um zur Arbeit zu gehen, fand er zu seinen Füßen die aktuelle Ausgabe der
Perry Hollow Gazette
.
    MEISTER TOD HOLT NEUES OPFER , schrie ihm die Schlagzeile entgegen. Darunter hieß es in nur unwesentlich kleineren Buchstaben: FOOTBALLHOFFNUNG ERMORDET IN SARG GEFUNDEN .
    Der Artikel war von Martin Swan. Hätte Henry selbst noch als Reporter gearbeitet, wäre er vielleicht ein wenig eifersüchtig gewesen. Jetzt nicht mehr. Martin konnte so viele Sensationen haben, wie er wollte. Ihm, Henry, war es egal.
    Er hob die Zeitung auf und warf sie in den Mülleimer. Als er hinter sich abschloss, fiel ihm etwas auf.
    Diesmal war es kein Karton, nichts verhüllte das, was er vor sich sah: ein kleines Faxgerät mit Bedienungsknöpfen, die es wie ein Gesicht aussehen ließen. Es lächelte Henry an, da war er sicher. Es lächelte und lud ihn ein zur nächsten Runde eines Spiels, das er nicht verstand.

Achtzehn
    Hätte sie wählen können, wäre Kat lieber zum Zahnarzt gegangen, um sich einer Wurzelbehandlung zu unterziehen, als eine Pressekonferenz abzuhalten. Allein der Gedanke, sich der versammelten Medienmeute zu stellen und Auskunft zu geben, war ihr unerträglich. Aber sie durfte nicht kneifen. Ein prominenter, allseits beliebter Mitbewohner von Perry Hollow war ermordet worden, und die Öffentlichkeit hatte ein Recht darauf, informiert zu werden.
    Bei einem Treffen mit dem Bürgermeister, dem County-Sheriff sowie Vertretern der Staatsanwaltschaft und Bundespolizei war entschieden worden, dass Kat der Presse Rede und Antwort stehen sollte. Sie sei, so hatte es geheißen, das Gesicht von Perry Hollow und mit dem Fall bestens vertraut. Kat aber kam sich vor wie der sprichwörtliche Sündenbock. Alle hatten George Winnicks Mörder hinter Gittern gewähnt, und niemand wollte die schlechte Nachricht überbringen, dass sich alle geirrt hatten. Kat sollte also die Drecksarbeit machen.
    Um

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