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Das Schweigen der Toten

Das Schweigen der Toten

Titel: Das Schweigen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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lag im Bett und konnte nicht schlafen. Seine Gedanken kreisten um Troy Gunzelman. Die Entdeckung seiner Leiche lag Stunden zurück, aber der Schreck steckte ihm noch in den Gliedern. Sobald Henry die Augen schloss, sah er die zwei Pennys auf den Augen des Toten. Das Bild ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.
    Wach hielt ihn zudem das schlechte Gewissen. Nicht, dass er Schuld an Troys Tod gehabt hätte – die lag einzig bei dem Täter –, doch musste er es sich selbst ankreiden, dass der Junge nicht hatte gerettet werden können.
    Von Vorwürfen geplagt, wälzte er sich im Bett hin und her. Wenn er doch nur früher zu dem Fax gegriffen hätte, wenn er schneller damit über die Main Street gelaufen wäre, wenn er nicht so lange mit Kat geredet hätte, weil er sie unbedingt begleiten wollte.
    Seit fünf Jahren dachte Henry ständig in solchen Kategorien. Wenn er doch nur ein Bier weniger getrunken hätte. Hätten sie doch bloß gewartet, bis der Gewittersturm vorübergezogen wäre, anstatt sich auf den Weg zu machen, als er am heftigsten tobte. Wenn sie doch zu Hause geblieben wären.
    Aber was geschehen war, ließ sich nicht rückgängig machen. Henry musste mit den Folgen leben.
    Er warf einen Blick auf den Wecker. Es war kurz nach Mitternacht. Bis zur Morgendämmerung lagen noch viele schlaflose Stunden vor ihm. Die Nacht würde sich in die Länge ziehen.
    Als es fünf Minuten später an der Tür klingelte, dachte Henry, Kat Campbell sei gekommen, vielleicht, weil sie sich mit ähnlichen Gedanken herumquälte. Es lag wohl in der Natur des Menschen, sich in negativen Gedanken zu suhlen, am liebsten mit jemandem, der sie teilte.
    Henry schlurfte durch den Flur und öffnete die Eingangstür. Aber auf der Schwelle stand nicht Chief Campbell, sondern Deana Swan. Sie betrachtete ihn voller Mitgefühl und sagte: «Ich habe von Troy gehört.»
    «So was spricht sich schnell herum.»
    «Ich weiß es von Martin», erklärte sie. «Er wird wahrscheinlich die ganze Nacht aufbleiben und an seinem Artikel arbeiten müssen.»
    Martin Swan zu bedauern, war wohl kaum angebracht. Als Reporter rieb er sich wahrscheinlich klammheimlich die Hände. Der Footballstar der Stadt war ermordet worden. Von einem Killer, der angeblich hinter Gittern saß. Ein weiteres grauenhaftes Verbrechen erschütterte eine Stadt, in der sich sonst Fuchs und Hase gute Nacht sagten. Von einer solchen Story träumten Reporter.
    «Es heißt, dass Sie irgendwie involviert sind. Ich dachte, vielleicht tut es Ihnen gut, darüber zu reden.»
    «Nett von Ihnen», erwiderte Henry. «Aber es gibt nichts zu bereden.»
    «Ihre Miene verrät etwas anderes.»
    Henry versuchte, sich einen Reim auf Deanas Verhalten zu machen, und scheiterte. Sie kannte ihn kaum und traute sich trotzdem, ihn mitten in der Nacht aus dem Bett zu klingeln und sich nach seinem Befinden zu erkundigen. Eigentlich hätte er verärgert sein sollen, aber er sehnte sich nach Gesellschaft und war gerührt, dass Deana sich nicht scheute, ihn auf den Mord anzusprechen.
    «Wie wär’s mit einem kleinen Spaziergang?», fragte sie. «Es ist jetzt angenehm kühl draußen.»
    «Eigentlich wäre mir ein Drink lieber», sagte Henry.
    Sie ließen das Haus hinter sich und schlenderten über die verlassene Main Street in Richtung
Jigsaw
. Die Kneipe hatte noch geöffnet, obwohl kein Gast mehr da war. Der Wirt schenkte ihnen ein, ohne allzu viele Worte zu verlieren, und sagte, sie könnten Platz nehmen, wo sie wollten. Sie setzten sich in eine Ecke weit weg vom Tresen.
    Deana hob ihr Glas Rotwein und stieß mit Henrys Scotch an. «Zum Wohl.»
    «Worauf trinken wir?»
    «Auf Ihren Heldenmut. Sie haben versucht, ein Menschenleben zu retten. Das war großartig von Ihnen.»
    «Obwohl es mir nicht gelungen ist?»
    «Ja. Trotzdem.»
    Henry nahm einen kräftigen Schluck und spürte den Whisky in der Kehle brennen. Deana nippte nur an ihrem Glas.
    «Und jetzt», sagte sie, «erzählen Sie mir von sich.»
    «Ich würde viel lieber etwas von Ihnen erfahren, zum Beispiel, warum Sie in einem Bestattungsunternehmen arbeiten.»
    «Vielleicht aus dem gleichen Grund, aus dem Sie Nachrufe schreiben.»
    Henry ließ eine Augenbraue nach oben wandern. «Morbide Neugier?»
    «Völlig daneben», antwortete Deana. «Schon meine Mutter hat jahrelang für die McNeils gearbeitet, am Empfang und als Telefonistin, so wie ich jetzt. Außerdem hat sie manchmal für die beiden gekocht und geputzt. Ich habe als kleines Mädchen viel Zeit in dem

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