Das Schweigen der Toten
steckt und begräbt, damit sie am eigenen Körper erfahren, wie das ist.»
Was für eine scheußliche Art, Geld zu machen, dachte Kat. Sich zu prostituieren war nach ihrem Dafürhalten doch noch um einiges respektabler, als interessierten Kunden einen solchen Kick zu bieten. Dass so etwas in ihrer Stadt vorkam, war ein quälender Gedanke.
«Aber darauf hast du dich nicht eingelassen, oder?», fragte sie und schlug, ohne es beabsichtigt zu haben, einen strengen Tonfall an.
Als Amber wieder anfing zu weinen, kannte sie die Antwort.
«Bitte, bitte, bitte, sagen Sie meinen Eltern nichts. Das dürfen Sie nicht.»
«Das werde ich auch nicht», beruhigte Kat sie. «Du kannst mir vertrauen. Sag mir jetzt bitte, wo es passiert ist.»
«Auf dem Oak-Knoll-Friedhof.»
«Auf dem Friedhof selbst?»
«Ja», antwortete Amber. «Da war ein Loch im Boden. Und ein Sarg. Ich dachte, es wäre ganz einfach, aber dann wurde es schrecklich dunkel. Und eng. Schon nach ungefähr fünf Sekunden habe ich angefangen zu schreien. Ich konnte nicht anders. Ich hatte entsetzliche Angst und hab geschrien wie am Spieß. Als sie mich dann wieder rausgeholt haben, bin ich sofort nach Hause gerannt.»
Sie schluchzte so heftig, dass der ganze Tisch wackelte. «Das war das letzte Mal, dass ich Troy gesehen habe.»
Kat nahm sie in den Arm, streichelte ihr übers Haar und sagte leise, dass alles gut werde. Doch ihre Beteuerungen klangen falsch und hohl. Sie glaubte selbst nicht an einen guten Ausgang, und damit sie nicht weiter lügen musste, zog sie es vor zu schweigen.
Nick stellte die Frage, die gestellt werden musste.
«Der Mann auf dem Friedhof. Wie hieß der?»
«Lucas», antwortete Amber. «Lucas Hatcher.»
Zehn Minuten später kümmerte sich Amber um James und Jeremy, während Kat und Nick sich in der Küche berieten.
«Was schlagen Sie vor?»
«Wir fahren zum Friedhof und nehmen ihn fest», antwortete Nick.
«Aufgrund von Ambers Aussage? Das reicht nicht», entgegnete Kat. «Außerdem habe ich ihr versprochen, sie aus der Sache rauszuhalten.»
«Versuchen wir, ihn auf frischer Tat zu ertappen.»
«Wenn er jemanden einsargt?»
«Genau. Wir suchen uns einen Köder, der kriegt eine Wanze, dann schicken wir ihn zu Lucas und treten in Aktion, wenn der sein Geschäft abwickelt. Das reicht für eine Festnahme, für ein Verhör allemal.»
Nick schien entschlossen zu sein, doch Kat zweifelte an der Durchführbarkeit seines Plans. Der hiesigen Polizeistation mangelte es am notwendigen Equipment.
«Wo kriegen wir die Wanze her?», fragte sie.
«Kein Problem. Ich habe eine im Wagen», sagte Nick.
«Zweite Frage: Wer könnte sich als Köder zur Verfügung stellen? Carl und ich kommen nicht in Frage, weil Lucas uns kennt. Uns wird er nicht auf den Leim gehen.»
Nick zuckte die Achseln. «Aber mir.»
«Auch Sie kennt er», erinnerte ihn Kat. «Er hat Sie nach dem Mord an George auf dem Friedhof gesehen.»
«Dann machen Sie einen anderen Vorschlag. Rudy und Cassie werden es nicht machen, aber vielleicht lässt sich Tony darauf ein.»
Plötzlich tönte eine dritte Stimme durch die Küche. «Ich mach’s.»
Es war Henry, den sie während ihres Gesprächs ganz vergessen hatten.
«Ich mach’s», wiederholte er. «Wenn es hilft, den Kerl zu erwischen –»
Kats Reaktion kam spontan. «Nein. Zu gefährlich.»
«Aber ich tue es aus freien Stücken», sagte Henry. «Ich will helfen.»
«Nett von Ihnen, aber ich bin für die Sicherheit der Bürger von Perry Hollow verantwortlich, also auch für Ihre. Ich lasse es nicht zu, dass sich jemand in Gefahr begibt, ob freiwillig oder nicht. Auch gestern hätte ich Sie nach Hause schicken müssen, aber Sie haben mich gezwungen nachzugeben.»
Nick stand auf und stützte sich mit beiden Händen auf der Tischplatte ab. «Ich glaube, uns bleibt keine andere Wahl.»
«Vielen Dank für Ihre Unterstützung», sagte Kat und nickte entschieden. Aber als Nick begann, auf seiner Unterlippe zu kauen, ahnte sie, dass er etwas anderes im Sinn hatte.
«Kommen Sie, Kat. Sie wollen doch auch wissen, was dieser Hatcher so treibt, oder?»
«Ja, aber wie gesagt, was Sie vorhaben, ist zu gefährlich. Es könnte schlimm enden.»
«Inwiefern?»
«Henry könnte zum Beispiel sterben.» Weil ein einfaches Nein nicht auszureichen schien, malte sie den Teufel an die Wand, um Henry zur Besinnung zu bringen. Doch es half nicht.
«Ich bin mir der Risiken vollauf bewusst», sagte Henry. «Ich mach’s
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