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Das Schweigen der Toten

Das Schweigen der Toten

Titel: Das Schweigen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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trotzdem.»
    Beide Männer schauten Kat erwartungsvoll an, doch sie ließ sich nicht beirren.
    «Nein», sagte sie. «Und das ist mein letztes Wort.»

Zweiundzwanzig
    Angefressen.
    So fühlte sich Nick. Er war angefressen und auf Ausweiskontrolle aus.
    So bezeichnete man es im Polizeijargon, wenn ein Kollege mieser Stimmung war und unbedingt jemanden erwischen wollte. Fuchsteufelswild hätte es auch getroffen. Oder stinksauer. Aber vor allem war er enttäuscht. Es gab bislang keinen brauchbaren Hinweis, und jetzt, da sich eine mögliche Spur auftat, zögerte Kat, ihr entschieden nachzugehen.
    Ihm war klar, dass Kat anders tickte als der durchschnittliche Polizeibeamte. Er wusste aber auch, dass ihr genauso viel daran lag, den Mörder einzulochen, wie ihm. Umso mehr frustrierte ihn ihre Weigerung. Anders als Meister Tod bestand sie darauf, sich an die Regeln zu halten. Doch Regeln führten oft nicht weiter. Um zu gewinnen, musste man manchmal ein bisschen mogeln.
    Er war wieder in seiner Unterkunft, dem
Sleepy Hollow Inn
, in demselben Zimmer, das er während seines ersten Aufenthalts bezogen hatte. Es war alles beim Alten. Duftsträußchen und Nippes befanden sich noch am selben Platz. Eines aber hatte sich verändert: Das Norman-Rockwell-Poster hing nicht mehr an der Wand, auf die man vom Bett aus blickte. Er hatte es abgehängt und stattdessen Zeitungsausschnitte, Fotos und handschriftliche Notizen an die Wand geheftet. Wer hier am Morgen das Zimmer machte, würde ihn wahrscheinlich für verrückt halten, womöglich sogar für den Killer, denn was da zu sehen war, wirkte einigermaßen verrückt.
    Er ging vor der Wand auf und ab, überflog die Artikel aus der
Perry Hollow Gazette
, die Fotostrecken und seine kaum leserlichen Bemerkungen in blauer Tinte. Wenn er im Bett lag, würde er diese Collage als Letztes sehen, bevor er die Augen zumachte. Er hoffte, dass ihm der Fall dadurch nachts im Bewusstsein blieb, während er schlief, und dass er am Morgen mit neuen Einsichten erwachte.
    Eines ging ihm tatsächlich nicht mehr aus dem Kopf. Lucas Hatcher, der Hauptverdächtige, ließ sich von Spinnern dafür bezahlen, dass er ihnen die Erfahrung vermittelte, lebendig begraben zu sein. Jetzt brauchte er, Nick, eigentlich nur noch jemanden, der den Mumm hatte, ihm dabei zu helfen, den Kerl auf frischer Tat zu ertappen.
    Plötzlich klopfte es an der Tür. Nick blieb stehen und fürchtete, seine Schritte könnten in der ganzen Pension zu hören gewesen sein. Womöglich hatte er jemanden geweckt, und jetzt war der auch angefressen und auf Ausweiskontrolle aus.
    Auf Zehenspitzen schlich er zur Tür, öffnete sie und sah nicht etwa einen wütenden Gast vor sich, sondern den Schreiber von Nachrufen.
    «Ich hoffe, ich störe nicht», sagte Henry Goll.
    «Nein. Kommen Sie herein.»
    Henry rührte sich nicht vom Fleck. «Als Sie gegangen sind, habe ich versucht, Kat zu überreden, Ihrem Plan doch noch zuzustimmen.»
    «Vermutlich ohne Erfolg.»
    «Ja, sie weigert sich. Aber ich bin immer noch dafür.»
    Es dämmerte Nick, weshalb Henry gekommen war. Er wollte anbieten, das Vorhaben mit ihm allein durchzuziehen. Nicks Respekt vor dem Mann verzehnfachte sich schlagartig.
    «Sie sollten aber wissen, dass Kat recht hat», sagte er. «Die Sache ist gefährlich. Sind Sie sicher, dass Sie das durchziehen wollen?»
    «Natürlich.»
    Henry verzog keine Miene, doch Nicks Grinsen war breit genug für beide.
    «Dann mal los.»
     
    Als Henry den Oak-Knoll-Friedhof erreichte, hatte sich Nebel über die Stadt gelegt. Die Grabsteine verschwanden unter dichten Schwaden, und nur die größten Marmorengel und Statuen ragten daraus hervor.
    Langsam bewegte er sich durch die Gräberreihen und lauschte. Zu hören war nicht viel – Motorengeräusche in der Ferne, der verlorene Ruf eines Käuzchens und Blätterrascheln.
    Plötzlich aber drang ein anderes Geräusch durch den Nebel. Es klang, als pfiffe jemand vor sich hin. Henry steuerte auf das Geräusch zu und nahm einen gelblichen Schein wahr, der den Nebel verfärbte.
    Das Pfeifen wurde lauter. Er hörte jetzt sogar eine Melodie heraus – «(Don’t Fear) the Reaper» von Blue Öyster Cult. Ein schauriges Lied, das aus dem Nebel tönte und von den Grabsteinen widerhallte.
    Henry fuhr mit der Hand unter den Hosenbund und schaltete den Sender ein, der mit Klebestreifen in der Leiste befestigt war. Ein dünnes schwarzes Kabel führte von hier aus unter dem Hemd entlang und reichte bis zum Mikrophon,

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