Das Schweigen der Toten
zurück an den Abend im Keller des Instituts, als er ihr erklärt hatte, dass es für buchstäblich alles einen Schwarzmarkt gab. Ihr war damals nicht klar gewesen, dass er aus eigener Erfahrung sprach.
«Ich vermute, ja», fügte sie hinzu.
Bob zerrte wieder an seinem Kragen, ließ aber dann die Arme herabhängen. Er starrte Kat durch seine dicken Brillengläser an und schürzte die Lippen.
«Hast du mir irgendwas vorzuwerfen?»
«Sollte ich?», erwiderte Kat. «Ich meine, könnte es sein, dass du deine Zulassung verlierst, wenn herauskäme, dass du einen Sarg an jemanden verkauft hast, der ihn zweckentfremdet?»
Es gefiel ihr zu sehen, wie sich Bobs Miene zu seiner Schuld bekannte, ohne dass er ein Wort gesagt hatte.
«Gehen wir woandershin», flüsterte er mit Blick auf die Trauernden.
Er drängte durch die Menge im Foyer und führte Kat nach unten in den Keller. Anders als bei ihrem ersten Besuch war der Edelstahltisch diesmal leer, die Lampe darüber ausgeschaltet. Im Halbdunkel wirkte der Raum noch größer und unheimlicher.
Bob blieb in der Mitte stehen, starrte Kat aus seinen großen Augen an, ohne mit der Wimper zu zucken, und zwang sie, den ersten Schritt zu machen.
«Ich weiß, dass du Lucas Hatcher einen Sarg verkauft hast», sagte sie. «Dein Vater weiß davon wahrscheinlich nichts. Soll ich ihm auf die Sprünge helfen?»
«Bitte nicht.» Bob klang verzweifelt. «Er darf davon nichts wissen.»
«Dann erklär es mir.»
Über ihnen knarrte die Decke, die unter der Last der vielen Besucher ächzte.
«Ich hatte meine Gründe», sagte Bob.
«Nämlich?»
«Geld natürlich.»
«Ihr seid das einzige Bestattungsunternehmen in der Stadt», sagte Kat. «Für euch, dich und deinen Vater, müsste doch genug herausspringen.»
«Ich brauche Geld, von dem mein Vater nichts wissen soll.»
«Wofür?»
Er nahm die Brille von der Nase und putzte die Gläser mit dem Ärmel seiner Anzugjacke. Als er sie wieder aufsetzte, standen ihm Tränen in den Augen, die unter den vergrößernden Linsen wie dicke Regentropfen aussahen.
«Ich will weg von hier», sagte er. «Glaubst du, ich hätte Spaß daran, unter einem Dach mit meinem Vater zu wohnen und Leichen zu präparieren, mehr tote als lebende Menschen zu sehen? Das ist Folter, Kat.»
«So schlimm kann es doch nicht sein.»
«Du hast keine Ahnung», sagte Bob. «Du kennst meinen Vater nicht, dieses Monstrum.»
Kat traute ihren Ohren nicht. Arthur McNeil, ein Monstrum? Kaum zu glauben. Arthur tat keiner Fliege was zuleide. Der Gefährlichere von beiden war Bob mit seiner unwirschen Art und den krummen Geschäften.
«Das sind doch alles nur Ausreden», sagte sie in einem Ton, der sie selbst überraschte. «Und hör auf, deinem Vater alle Schuld zuzuschieben.»
«Wie gesagt, du kennst ihn nicht.»
«Dann klär mich auf.»
«Das habe ich doch schon, er ist ein Monstrum.»
Sein Gesicht war rot angelaufen, die Tränen kullerten ihm übers Gesicht. Als er sie wegwischte, bemerkte Kat, dass seine Hände zitterten. Bob hatte Angst, aber nicht etwa davor, erwischt zu werden, sondern offenbar vor seinem Vater.
«Hat er dir was angetan?», fragte Kat. «Als du klein warst?»
Bob schniefte. Dann nickte er.
«Hat er dich missbraucht?»
Erneutes Schniefen. Erneutes Kopfnicken.
«Wie?»
Bob blieb auch in seinem Schmerz unwirsch. «Was glaubst du denn?»
Kat spürte einen Kloß im Hals. Es war ihr nie in den Sinn gekommen, dass es einen Grund gab für Bobs unangenehme Art, dafür, dass sich niemand in seiner Gesellschaft wohl fühlte. Dabei lag auf der Hand, dass es Gründe geben musste.
«Wie alt warst du, als das angefangen hat?»
Er wich ihrem Blick aus. «Ich will nicht darüber reden.»
Kat konnte es ihm nachfühlen, musste sich aber Klarheit verschaffen. Sie trat einen Schritt auf ihn zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Bob schüttelte sie murrend ab.
«Bitte, erzähl es mir», sagte sie leise. «Ich kann dir helfen.»
«Es hat angefangen, als ich acht war, und ging über zwei Jahre. Schluss war, nachdem sich Mutter umgebracht hat.»
Kat dachte an den Abend, an dem sie erfahren hatte, wie sich Leota McNeil das Leben genommen hatte. Sie erinnerte sich, auf ihren Teller gestarrt und von ihrem Vater gehört zu haben, dass sich Leota mehrere Kleider übereinandergezogen, sich mit Ziegelsteinen beschwert und ertränkt hatte.
Wie ein Stein
sei sie untergegangen, hatte ihr Vater gesagt. Wie ein Stein.
Als junges Mädchen war ihr unerklärlich
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