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Das Schweigen der Toten

Das Schweigen der Toten

Titel: Das Schweigen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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gewesen, was einen erwachsenen Menschen zu so einer Tat bewegen mochte, zudem eine Frau und Mutter. Jetzt aber ahnte sie, warum. Leota McNeil war dem schmutzigen Geheimnis ihres Mannes auf die Spur gekommen und hatte, anstatt ihn zur Rede zu stellen, ihrem Leben ein Ende gemacht.
    «Glaubst du, der Tod deiner Mutter hat bewirkt, dass er damit aufgehört hat?»
    «Ich weiß es.»
    «Hat er dir das gesagt?»
    «Ja, genau hier, im Keller.»
    Mit kummervollem Blick schaute er sich um. Kat konnte sich kaum vorstellen, wie es ihm möglich war, tagtäglich hier zu arbeiten, in diesem Raum, der von schrecklichen Erinnerungen besetzt war. Und doch brachte er es fertig. Er arbeitete hier immer noch.
    Robert deutete auf den Tisch. «Da lag auch meine Mutter drauf. Man hatte sie kurz zuvor aus dem Wasser gezogen. Ihre Haut war noch blau angelaufen.»
    Kat lief ein kalter Schauer über den Rücken, und ihr Schrecken nahm mit jedem Wort, das sie hörte, zu.
    «Sie war nackt», sagte er. «Die erste nackte Frau, die mir zu Gesicht gekommen ist. Ich habe mich geekelt und konnte trotzdem den Blick nicht abwenden. Später musste ich jedes Mal kotzen, wenn ich nur daran dachte. Vielleicht lag’s auch daran, dass ich sie einbalsamieren musste. Es war mein erster Versuch überhaupt.»
    Kat drehte sich der Magen um. Am liebsten hätte sie Bob gebeten, den Mund zu halten. Oder sich die Ohren zugehalten.
    «Dad gab mir das Skalpell und verlangte von mir, dass ich ihr den Hals aufschneide. Dann die Blutgefäße. Er hat mich die ganze Prozedur machen lassen. Ich wollte nicht, aber er sagte, es wäre die Strafe dafür, dass ich sie in den Tod geschickt hätte.»
    «Aber du warst doch gar nicht dafür verantwortlich», platzte es aus Kat heraus.
    «Verdammt, ich war damals zehn und hätte alles geglaubt.»
    Zehn Jahre, so alt wie James jetzt. Wenn Bob die Wahrheit sagte, war Arthur McNeil in der Tat ein Monstrum.
    «Außerdem hatte er mir versprochen aufzuhören», fuhr er fort. «Er wollte aufhören, wenn ich ihm helfen würde, Mutters Leichnam einzubalsamieren. Also habe ich es getan. Er verlangte von mir, dass ich ihr den Mund zunähe, allerdings nicht so, wie ich’s dir gezeigt habe, sondern so, wie man es früher gemacht hat, nämlich mit Stichen durch die Lippen. Dad meinte, das wäre was Besonderes. Und dann –»
    Kat wusste, was jetzt kommen würde. «Dann hast du ihr Pennys auf die Augen gelegt.»
    Bob nickte. «Und das war’s dann.»
    Kat war schwindelig. Sie musste sich am Rollwagen festhalten, der neben dem Tisch stand. Darauf lagen die Werkzeuge der Thanatopraktiker, die ihr bei ihrem ersten Besuch erklärt worden waren. Skalpell. Augenkappen. Aneurysma-Haken. Trokar.
    An jenem Abend vor vier Monaten hatte Bob ihr erklärt, was man zum Einbalsamieren brauchte. Zum einen Formaldehyd, wovon ein Vorrat in dem Schrank hinten an der Wand lagerte. Zum anderen genügend Platz, und den gab es hier reichlich. Außerdem einen Ausguss. Kat schaute nach unten und sah das in den Boden eingelassene Gitter am Kopfende des Edelstahltisches.
    Ihr Schwindel legte sich ein wenig. Sie dachte an George Winnick und Troy Gunzelman. Beide waren in diesem Raum einbalsamiert worden. Und das nicht nur einmal, nach dem Fund ihrer Leichen. Wahrscheinlich auch schon
vorher
.
    Bob McNeil hatte die zweite Einbalsamierung vorgenommen, professionell und nach allen Regeln der Kunst. Die erste war vor Bekanntwerden der Tat durchgeführt worden, und zwar von einer Person, die zugunsten überkommener Praktiken auf moderne Methoden verzichtet hatte. Und diese Person war weder Lucas Hatcher noch Bob McNeil.
    Es war Arthur.
    «Ich muss mit deinem Vater reden», sagte Kat.
    Bob stand der Schreck ins Gesicht geschrieben. In seinen dicken Brillengläsern spiegelte sich, was er sah: eine Gestalt im Türrahmen. Sie kam näher, so nah, dass Kat im Spiegel der Brillengläser das Gesicht erkennen konnte.
    «Worüber wollen Sie mit mir reden?», fragte Arthur McNeil.
    Kat wirbelte auf dem Absatz herum. Er lächelte. Es war ein kaltes, freudloses Lächeln.
    «Ich muss Sie bitten, mit mir aufs Polizeirevier zu kommen.»
    «Habe ich was ausgefressen?»
    Allerdings
, dachte Kat, die sich schon Gedanken darüber machte, mit welchen Anschuldigungen sie die Vernehmung eröffnen sollte.
    «Wir unterhalten uns besser dort», sagte sie. «Gibt es eine Möglichkeit, das Haus zu verlassen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen?»
    Arthur musterte zuerst Kat, dann seinen Sohn. «Was werfen Sie

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