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Das Schweigen der Toten

Das Schweigen der Toten

Titel: Das Schweigen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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mir vor? Was hat Bob Ihnen erzählt?»
    «Alles», antwortete Bob. «Ich habe ihr alles gesagt.»
    Der kalt grinsende Mund verwandelte sich in einen geraden Strich. Scheinbar gelassen schob Arthur McNeil den Rolltisch beiseite und trat auf seinen Sohn zu.
    «Ich dachte, du hättest etwas Wesentliches verstanden», sagte er. «Ich dachte, der Tod deiner Mutter wäre dir eine Lehre gewesen.»
    «Ich musste ihr die Wahrheit sagen.» Bobs Stimme war dünn und zittrig.
Er klingt wie ein Kind
, dachte Kat. Wie ein zehnjähriger Junge.
    «So wie du deiner Mutter die Wahrheit sagen musstest», entgegnete Arthur. «Woraufhin sie uns im Stich gelassen hat. Hättest du deinen gottverdammten Mund gehalten, wäre sie noch am Leben und hier bei uns. Aber du musstest dich ja ausheulen, so wie du dich jetzt bei dieser Polizistin ausheulst.»
    Als er mit seiner Beschimpfung fertig war, wandte er sich Kat zu und sagte in freundlich-vornehmem Tonfall: «Entschuldigen Sie bitte die Zumutungen meines Sohnes. Und nun muss ich mich wieder meinen Gästen widmen. Dafür werden Sie hoffentlich Verständnis haben.»
    Mit straffen Schultern und hocherhobenem Kopf verließ Arthur McNeil den Raum. Sie hörte seine hastigen Schritte auf der Treppe und warf einen Blick auf den Rollwagen. Die Instrumente lagen alle noch an ihrem Platz.
    Bis auf eines.
    Arthur hatte das Skalpell mitgenommen.
    Kat eilte ihm nach. Als sie den oberen Treppenabsatz erreichte, gellte ein Schrei aus dem Aufbahrungsraum. Sie stürzte an den Trauergästen vorbei, die wie versteinert dastanden. Neben Troys offenem Sarg stand Arthur McNeil, das Skalpell in der Hand.
    «Tun Sie’s nicht, Arthur. Kommen Sie mit mir.»
    «Sie glauben, ich hätte mein Kind missbraucht.»
    «Was ich glaube, tut nichts zur Sache», sagte Kat. «Aber ich muss mich mit Ihnen darüber unterhalten. Nicht hier. Unter vier Augen. Wo Sie offen reden können.»
    Arthur blickte auf den Leichnam. Seine Miene verriet einen Anflug von Stolz und Bewunderung für die vorzügliche Arbeit.
    «Das hat mein Sohn gemacht», sagte er. «Er ist sehr viel geschickter als ich.»
    Er hob das Skalpell, worauf im hinteren Teil des Raumes wieder jemand aufschrie. Dann legte er sich die Klinge an den Hals.
    «Legen Sie das Messer weg», flehte Kat. «Bitte, tun Sie es nicht.»
    «Sie halten mich für eine verkommene Person.»
    Während er das sagte, ritzte er mit der Klinge die Haut an. Blut sickerte daraus hervor und verschmierte, es sah aus wie ein Abdruck rotgeschminkter Lippen.
    «Ich finde, Sie sollten Ihre Gäste in ihrer Trauer nicht stören und mit mir kommen.»
    Arthur rührte sich nicht vom Fleck. «Sie glauben, ich hätte sie getötet, nicht wahr? George und Troy? Sie glauben, ich hätte etwas mit ihrem Tod zu tun.»
    «Ich weiß es nicht. Ist es so?»
    «Gut möglich», antwortete er. «Ich glaube, ja.»
    Die Klinge drang ins Fleisch ein. Eine dünne Blutspur sickerte aus der Wunde und über die Hand, die das Skalpell umklammerte. Dann, plötzlich und wild entschlossen, schlitzte sich Arthur McNeil den Hals auf.

Siebenundzwanzig
    Kaum hatte Nick Philadelphia hinter sich gelassen, fielen die ersten Regentropfen auf die Windschutzscheibe seines Wagens. Als er Perry Hollow erreichte und über die Main Street fuhr, schüttete es wie aus Kübeln. Der Regen trommelte so laut aufs Dach, dass er den Beatles-Song, den er spielte – «Here Comes the Sun» –, kaum mehr hören konnte.
    Die Ironie entging ihm nicht. Es war Freitag, und aus dem vorhergesagten strahlend schönen Herbstwetter war ein heftiger Gewittersturm geworden. Der Regen stürzte auf die Deko ein – orangefarbene Laternen und schwarze Wimpel –, die bereits auf das Halloween-Spektakel am nächsten Tag hinwies. Die ausgehöhlten Kürbisse, die vor jedem Treppeneingang standen, waren voller Wasser. Der Wind hatte die Töpfe mit Chrysanthemen vor
Big Joe’s
umgeworfen und zerrte an den Vogelscheuchen, die vor
Awesome Blossoms
standen.
    Jasper Fox hatte seine liebe Not, sie zu schützen, und nahm dabei in Kauf, bis auf die Haut durchnässt zu werden. Als er Nick vorbeifahren sah, winkte er ihm freudlos zu. Nick erwiderte den Gruß. Während der vergangenen vier Monate hatte er mit vielen Bewohnern von Perry Hollow Bekanntschaft gemacht. Der kleine Ort war ihm inzwischen vertraut und ans Herz gewachsen.
    Auf dem Parkplatz von
Shop and Save
traf er Carl Bauersox. Gemeinsam sprinteten sie durch den Regen und suchten Unterschlupf unter der breiten Markise

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