Das Schweigen der Toten
Tweety», sagte sie. «Und das Kaninchen heißt Thumper.»
«Wie kommst du an diese Tiere?»
Deana sagte traurig: «Ich weiß, sie sind bizarr. Aber sie gehörten meinem Vater.»
Henry ging vor dem ausgestopften Kaninchen in die Hocke. Es wirkte auf gespenstische Weise lebendig, so dass er unschlüssig war, ob er es streicheln oder vor ihm Reißaus nehmen sollte.
«War er Jäger?»
«Ja, passionierter Jäger», bestätigte Deana. «Und er hat diese Tiere selbst ausgestopft, was wir barbarisch fanden. Jetzt kann ich mich nicht von ihnen trennen. Ich habe es einmal versucht, aber ich brachte es einfach nicht übers Herz. So albern es klingt, sie erinnern mich an ihn.»
Sie streckte ihre Hand aus. Henry ergriff sie, ließ sich von ihr aufhelfen und zurück in den Flur führen. Vor der Haustür lagen sie sich wieder in den Armen und küssten sich. Der Kuss war so innig, die Anziehung zwischen ihnen so stark – Henry hoffte aus ganzem Herzen, dass Deana die Wahrheit sagte.
Als Kat vor dem Bestattungsinstitut ankam, stellte sie fest, dass sie wohl kaum Gelegenheit haben würde, mit Bob McNeil unter vier Augen zu sprechen. Vor dem Haus hatte sich eine große Menge schwarzgekleideter Gestalten versammelt. Sie standen auf dem Rasen, auf der Veranda und drängten sich auch noch im Foyer.
Nick Donnelly hätte sich wohl umstandslos einen Weg durch die Menge gebahnt, doch Nick war nicht da. Er hatte beschlossen, bei Lucas Hatcher zu bleiben, bis Bob McNeil seine Version der Geschichte vorgetragen hätte. Falls sie mit der Aussage von Lucas Hatcher übereinstimmte, war Lucas ein freier Mann. Wenn nicht, wenn sich herausstellte, dass er gelogen hatte, würde sich die Landespolizei mit seinem Bewährungshelfer in Verbindung setzen.
Kat quetschte sich an den Leuten auf der Veranda und im Foyer vorbei. Als sie den Raum betrat, wo die Toten aufgebahrt wurden, war ihr endlich klar, was die vielen Menschen hierhergeführt hatte. Sie wollten Abschied von Troy Gunzelman nehmen.
Er lag in einem offenen Sarg, hatte die Hände über der Brust gefaltet und sah um einiges besser aus als in der Kiste auf dem See. Sein Gesicht hatte mehr Farbe, und der Kragen des schwarzen Jacketts verdeckte die Wunde am Hals. Allerdings war er genauso tot wie an dem Abend, als Kat die Leiche entdeckt hatte.
Auf den Klappstühlen rings um den aufgebahrten Leichnam saßen Trauergäste, von denen Kat etliche kannte – Alma Winnick, Jasper Fox, Adrienne Wellington. Martin Swan stand neben seiner Schwester und hatte wie fast immer einen Notizblock in der Hand. Alle hatten denselben Gesichtsausdruck, der Angst und Wut verriet, Sorge und Kummer.
Und alle, so ahnte Kat, machten sie, die Polizeichefin, dafür verantwortlich, dass der Mörder noch nicht gefasst war, obwohl sich niemand traute, den Vorwurf offen auszusprechen. Die Leute waren so höflich wie immer. Manche nickten ihr zu, andere winkten, doch Kat kannte die Bewohner von Perry Hollow gut genug. Sobald sie gegangen wäre, würde hinter ihrem Rücken getuschelt werden.
Zwei Frauen reagierten anders auf sie. Amber Lefferts und Lisa Gunzelman schienen Kat überhaupt nicht zu bemerken.
Amber wirkte in dem schwarzen Kleid, das sie trug, noch bleicher als sonst. Sie schien untröstlich zu sein und weinte hemmungslos, als sie sich ins Kondolenzbuch eintrug.
Kat empfand Mitleid mit ihr. Amber war noch jung und unerfahren. Vielleicht war es ihr erster großer Verlust. Ihr Kummer war nicht zu übersehen.
Lisa Gunzelman dagegen saß reglos neben dem offenen Sarg. Es waren weder Tränen zu sehen, noch zitterten ihre Lippen. Ihre Trauer war nicht offensichtlich, sie schien vielmehr tief und auf alle Zeit in ihr verschlossen zu sein.
Kat wollte ihr gerade kondolieren, als sie Bob McNeil eintreten sah. Er blieb in der Tür stehen und sah in seinem schlechtsitzenden braunen Anzug aus wie ein Bär. Kat war in Sekundenschnelle bei ihm und zupfte ihn am Ärmel.
«Wir müssen uns unterhalten.»
«Worüber?»
«Särge.»
«Was willst du wissen?»
«Wie viel sie kosten», antwortete Kat. «Davon verstehst du doch was, oder?»
Bob bewegte sich nicht vom Fleck. Er zupfte an seinem Kragen und schien Kats Gegenwart ebenso unangenehm zu finden wie sie seine. Das war mal was anderes. Für gewöhnlich war das ungute Gefühl einseitig.
«Willst du einen Sarg kaufen?», fragte er.
Kat zuckte die Achseln. «Nicht wirklich. Mich interessiert vor allem, ob es einen Schwarzmarkt dafür gibt.»
Sie dachte
Weitere Kostenlose Bücher