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Das Schweigen der Toten

Das Schweigen der Toten

Titel: Das Schweigen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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Seite.
    «Noch fünf Minuten.»
    «Das hast du schon vor fünf Minuten gesagt.» Deana setzte sich auf ihn, um ihn wach zu kriegen. «Es wird allmählich Zeit.»
    Sie hatte recht. Ein neuer Arbeitstag lag vor ihm. Auch für Deana gab es allerhand zu tun. Ihm war klar, dass er aufstehen musste, obwohl er viel lieber im Bett geblieben wäre.
    «Na schön», murmelte er. «Ich steh auf.»
    Deana blieb auf ihm sitzen. «Zuerst musst du mir einen Kuss geben.»
    Er küsste sie auf beide Wangen und auf die Stirn. «Gut so?»
    «Nicht ganz», antwortete sie lächelnd.
    Er legte seine Arme um ihren schlanken Körper, rollte sich auf sie und küsste sie so innig, dass ihrer Kehle ein Gurren entschlüpfte. Als sie sich voneinander lösten, war Henry erregt und Deana außer Atem.
    «Schon sehr viel besser», sagte sie.
    «Freut mich, dass es dir gefällt.»
    Henry gefiel es auch. Er hatte fünf Jahre lang allein und zurückgezogen gelebt, und es überraschte ihn, wie sehr er es vermisst hatte, mit einer Frau zusammen zu sein. Deana hatte ein Bedürfnis geweckt, das ihm abhanden gekommen zu sein schien. Umso schwerer fiel es ihm nun, das Bett zu verlassen.
    Eilig zog er sich an, um möglichst schnell den Versuchungen in Deanas Schlafzimmer zu entrinnen. Wenn er noch länger bliebe, würde er nicht widerstehen können und zurück ins Bett springen.
    Auf dem Weg nach draußen blieb Henry vor einem Foto stehen, das neben der Tür an der Wand hing. Es war ihm bislang nicht aufgefallen. Er hatte auf anderes geachtet. Aber nun glänzte das Foto im Licht der Morgensonne, die durch das Fenster fiel, und Henry sah ein kleines Mädchen und einen kleinen Jungen zwischen zwei Erwachsenen vor ebenjenem Haus, in dem er sich gerade befand.
    «Bist du das?», fragte er und deutete auf das Mädchen.
    Deana stellte sich hinter ihn und schlang ihre Arme um seine Brust. «Ja, Klein-Deana. Ich muss ungefähr neun gewesen sein, als das Foto gemacht wurde.»
    Das Mädchen in dem rosa Kleid zeigte erste Anzeichen jener Frau, zu der es sich entwickeln sollte. Henry sah es an den hellen Augen und dem freundlichen Lächeln.
    Deana zeigte auf den Jungen. «Und das ist Martin.»
    «Sind das eure Eltern?»
    «Ja. Sie hätten dich sicher gemocht.»
    Mrs.Swan war eine hübsche Frau mit toupierten Haaren und schlanker Figur. Sie hielt die Hand von Deanas Vater, einem großgewachsenen, stämmigen Mann mit pechschwarzen Haaren und blasser Haut. Die linke Gesichtshälfte war von einer langen Narbe entstellt.
    «Hat er die von seinem ersten Unfall im Sägewerk davongetragen?», fragte Henry.
    Deana nickte und berührte das Foto mit dem Finger.
    «Er war schrecklich befangen wegen der Narbe. Uns hat sie nicht weiter gestört. Für uns war er nach wie vor der bestaussehende Mann der Welt.»
    «Ist es das, was dich für mich einnimmt?» Henry drehte sich um und küsste sie. «Die Narbe?»
    «Nein», antwortete Deana. «Es ist vielmehr die Art, wie du damit umgehst. Ich weiß, was hinter deinem Rücken getuschelt wird. Ich weiß, wie gemein andere sein können. Sei’s drum. Was mich betrifft, nehme ich diese Narbe wie bei meinem Vater gar nicht wahr und sehe nur den Mann, der vor mir steht.»
    Sie küssten sich noch einmal leidenschaftlich.
    «Ich muss leider gehen.»
    Henry ließ Deana in ihrem Schlafzimmer zurück und ging nach unten. Als er den Flur durchquerte, sah er, dass vom Wohnzimmer ein weiteres kleines Zimmer abging. Noch etwas, das er letzte Nacht nicht wahrgenommen hatte.
    Er warf einen Blick hinein. Es war so gemütlich und ordentlich wie der Rest des Hauses. Henry sah weitere Bücher, noch mehr Pflanzen und eine Ecke eines alten Schreibtisches, der vor einem Fenster stand.
    Die Bodendielen knarrten unter seinen Füßen, als er eintrat und auf den Schreibtisch zuging. Darauf stand ein anderes gerahmtes Familienfoto, auf dem jedoch der Vater fehlte. Auf der anderen Seite des Schreibtisches stand ein Telefon, ebenfalls sehr alt. Und dann fiel Henrys Blick auf einen großen Vogel, einen Blauhäher, wie er erkannte.
    Erst auf den zweiten Blick sah er, dass der Vogel ausgestopft war und auf einem Stück Rinde hockte. Am Boden entdeckte er ein anderes Tier, ein Kaninchen, das den Eindruck machte, als wollte es an einer der Topfpflanzen knabbern. An der Stirnwand hing ein Hirschkopf, in dessen Geweih eine Spinne ihr Netz gesponnen hatte.
    «Wie ich sehe, hast du Bambi kennengelernt.»
    Deana war unbemerkt hinter ihm ins Zimmer getreten.
    «Den Vogel nenne ich

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