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Das Schweigen der Toten

Das Schweigen der Toten

Titel: Das Schweigen der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Todd Ritter
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zu verlieren.
    «Bitte», sagte er. Seine Kehle fühlte sich an, als hätte er Sand geschluckt. «Ich muss es wissen.»
    Gloria gab ihm wieder zu trinken, und als sie sprach, klang ihre Stimme sehr viel sanfter. Auch ihre Miene verriet, dass sie Mitleid mit ihm hatte.
    «Der Lieferwagen gehört dem Besitzer von
Awesome Blossoms
», sagte sie. «Er wurde im März gestohlen. Chief Campbell fand das Wrack am Seeufer, zehn Minuten nach dem Unfall.»
    Sie berichtete Nick, Kat habe sich zuerst um ihn und Henry gekümmert und sei dann zum Lieferwagen geeilt, wo sie Amber im Laderaum vorgefunden habe, bewusstlos.
    «Chief Campbell hat dann einen Blick in die Fahrerkabine geworfen», fuhr Gloria fort. «Und raten Sie mal, was sie gesehen hat?»
    Nick versuchte ein Schulterzucken. «Keine Ahnung.»
    «Nichts», sagte Gloria. «Seit dem Unfall waren, wie erwähnt, zehn Minuten vergangen, und wer immer den Wagen gelenkt hat, muss es zwischenzeitlich irgendwie geschafft haben, Reißaus zu nehmen.»
     
    Die Krankenhauscafeteria war ein trauriger kleiner Raum, der in Lila- und Grautönen gehalten war. Abgesehen von einer gelangweilten jungen Frau an der Kasse war Henry die einzige Person, die sich dort aufhielt. Er saß vor einem gerahmten Poster, auf dem eine Wiese mit violetten Wildblumen zu sehen war. Das Motiv sollte wohl für gute Laune sorgen, vermutete Henry, in seinem Fall funktionierte das allerdings nicht. Er steckte in einem gefährlichen Stimmungstief, aus dem ihm solch billige Kunst wahrhaftig nicht heraushelfen konnte.
    Vor ihm stand ein Becher mit lauwarmem Kaffee, der wie Schmutzwasser aussah und genauso schmeckte. Immerhin tat das Koffein seine Wirkung. Das taube Gefühl in den Gliedern war verschwunden.
    «Nick ist aufgewacht.»
    Henry drehte sich um und sah Kat auf sich zukommen, die in ihrem eigenen Becher Schmutzwasser rührte.
    «Wie geht es ihm?»
    «Er ist ziemlich mitgenommen», antwortete sie und setzte sich zu ihm. «Aber es wird schon wieder.»
    Henry dachte an seine eigenen Blessuren. Eine Platzwunde am Unterarm war genäht und verbunden worden, und auf der Stirn hatte er einen kleinen, mit Jod behandelten Kratzer. Ein Wunder, dass er so glimpflich davongekommen war.
    Trotzdem fühlte er sich niedergeschlagen und elend.
    «Wenn Sie Anklage erheben wollen, kann ich das verstehen», sagte er. «Wäre nur fair.»
    Ein Mädchen war schwer verletzt, ein Lieutenant der Landespolizei lag auf der Intensivstation, und ein Killer hatte entkommen können. Alles seinetwegen. Er würde Kat keinen Vorwurf machen können, wenn sie ihn nun dafür büßen ließe. Er hatte nichts anderes verdient.
    Kat aber schien nicht die Absicht zu haben, ihn ins Gefängnis zu stecken. Sie streckte beide Arme aus und ergriff seine Hände.
    «Nick übernimmt für alles, was passiert ist, die Verantwortung. Er hat ausgesagt, dass Sie nur getan haben, wozu er Sie gedrängt hat.»
    «Aber ich habe am Steuer gesessen», entgegnete Henry. «Ich hätte den Unfall vermeiden können.»
    «Wie denn? Dass der Hirsch vor den Lieferwagen gesprungen ist, war doch nicht Ihre Schuld. Ich weiß nicht, wie andere darüber denken, aber für mich steht fest, dass Sie nichts machen konnten.»
    Kat hatte recht mit ihrer Einschränkung. Andere würden anders urteilen und ihn, Henry, zur Verantwortung ziehen wollen. Er wusste aus Erfahrung, dass einem nicht so leicht verziehen wurde.
    «So etwas ist mir schon einmal passiert», sagte er.
    «Inwiefern?»
    «Vor fünf Jahren hatte ich einen Autounfall, der ganz ähnlich ablief.»
    Bislang hatte Henry keine Veranlassung gesehen, darüber zu reden, nun aber fühlte er sich Kat gegenüber dazu verpflichtet. Was an diesem Tag geschehen war, hatte eine Schleuse in ihm geöffnet, und je mehr er seine Emotionen zurückzuhalten versuchte, desto größer wurde ihr Druck. Wut, Trauer, Bedauern – all das nagte an ihm.
    «Es passierte während eines Gewittersturms, dem schlimmsten, den ich je erlebt habe», begann er.
     
    Sie hatten es sich eigentlich gemütlich machen, eine Pizza bestellen und irgendeinen Spielfilm auf DVD sehen wollen. Doch als Henry von der Arbeit nach Hause gekommen war, hatte Gia schlechte Laune, einen ausgewachsenen Koller. Sie war im neunten Monat.
    «Ich freue mich auf dieses Kind», sagte sie und hielt sich mit beiden Händen den kugelrunden Bauch. «Aber ich möchte, dass es endlich kommt.»
    Statt an diesem verregneten Freitagabend zu Hause zu bleiben, waren sie auf ihr Drängen hin

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