Das Schweigen der Toten
Nicks Team, wieder vereint.
Sie schwiegen, was Nick merkwürdig vorkam. Sie waren doch sonst alles andere als wortkarg. Doch dann sah er noch jemanden – Gloria Ambrose. Obwohl er irgendwie nicht ganz bei sich war, war ihm sofort klar, dass ihre Anwesenheit nichts Gutes bedeuten konnte. Wenn sie eine so weite Fahrt auf sich genommen hatte, musste er ziemlich in der Scheiße stecken.
«Lieutenant Donnelly», sagte sie knapp. «Bevor wir anfangen, muss ich wissen, ob Sie mich verstehen können und aufnahmefähig sind. Sind Sie das?»
Nick verstand zwar nicht so recht, was sie damit meinte, antwortete aber mit Ja.
Gloria nickte zufrieden und fragte: «Saßen Sie am Steuer Ihres Wagens, als es heute zum Unfall kam?»
Nick schüttelte den Kopf. «Nein.»
«War der Fahrer eine Person namens Henry Goll?»
Henry.
Kat hatte ihn nicht erwähnt und nur von Amber gesprochen. Von plötzlicher Sorge ergriffen, vergaß Nick für eine Weile seine Schmerzen.
«Ist mit ihm alles okay?», stammelte er. Sein Mund war schon wieder so trocken.
Gloria reichte ihm das Wasserglas. Während er trank, antwortete sie: «Ja. Mr.Goll hat nur ein paar Kratzer und blaue Flecken abbekommen. Er hatte mehr Glück als Sie.»
Damit konnte sich Nick abfinden, jetzt, da er wusste, dass Amber am Leben und Henry unverletzt war.
«Hat sich Mr.Goll auf eigenen Wunsch ans Steuer gesetzt?»
«Nein.»
«Soll das heißen, Sie haben ihn dazu aufgefordert?»
Ja, das hatte er. Wahnsinnig vor Schmerzen, aber doch wild entschlossen, den Killer zu stellen, hatte er Henry gedrängt, die Verfolgung aufzunehmen. Jetzt war er schwer verletzt, genau wie Amber, und damit schien das Ganze noch lange nicht vorbei zu sein.
«Die Sache ist ernst, Nick», erklärte Gloria, als wüsste er das nicht selbst. «Sobald Sie wieder genesen sind, wird es zu einer offiziellen Untersuchung der heutigen Vorkommnisse kommen. Bis es so weit ist, sind Sie beurlaubt. Habe ich mich verständlich gemacht?»
Laut und deutlich. So laut, dass Nick insgeheim wünschte, die Schmerzen würden zunehmen und Glorias Stimme übertönen. Er wollte nichts mehr hören. Es ging ihm schon dreckig genug.
Die Schmerzen aber kamen gegen ihre penetrante Stimme nicht an. «Es versteht sich wohl von selbst, dass Sie in den Mordfällen von Perry Hollow nicht weiterermitteln. Ab sofort bin ich dafür zuständig. Die hiesigen Polizeikräfte wurden bereits instruiert, nicht mehr mit Ihnen über den Fall zu sprechen.»
«Hat Kat Ärger?», fragte Nick.
«Nein. Sie weiß nichts von Ihrem Versuch, den Lieferwagen zu stoppen. Dass Sie sie außen vor gelassen haben, dürfte heute Ihre einzig gescheite Entscheidung gewesen sein.»
«Und was ist mit Henry? Hat er Schwierigkeiten?»
Wie er Gloria kannte, stand zu befürchten, dass sie rechtliche Schritte gegen Henry einleiten würde. Dazu durfte er es nicht kommen lassen.
«Bitte nehmen Sie zu Protokoll», sagte Nick. «Ich übernehme für das, was heute vorgefallen ist, die alleinige Verantwortung. Henry hat nur getan, wozu ich ihn aufgefordert habe.»
Nick schaufelte sich sein eigenes Grab, doch das war ihm einerlei. Er hatte ohnehin verspielt. Die angekündigte Untersuchung war bloß eine Formalität, um Leuten wie Gloria das Gefühl zu geben, wichtig zu sein. Da seine Tage beim BCI gezählt waren, konnte er jetzt nur noch dafür sorgen, dass Henry möglichst unbehelligt blieb.
«Bevor ich Ihre Aussage zu Protokoll nehme, muss ich Ihnen noch ein paar Fragen stellen», sagte Gloria.
«Nur zu», murmelte er und lud sie mit einer schlaffen Handbewegung dazu ein.
«Haben Sie den Fahrer des Lieferwagens erkennen können?»
Nick versuchte, sich die Momente vor dem Unfall vor Augen zu rufen, und glaubte, ausschließen zu können, dass er den Fahrer gesehen hatte. Er erinnerte sich nur an den Lieferwagen, die halsbrecherische Verfolgungsjagd und seine Schmerzen.
«Nein», sagte er. «Haben Kat oder Henry ihn gesehen?»
Glorias Schweigen beantwortete seine Frage. Sie hatten ihn auch nicht gesehen.
«Wenn Amber Lefferts bei dem Unfall verletzt wurde, wird wahrscheinlich auch Meister Tod nicht ungeschoren davongekommen sein, oder?», fragte Nick.
«Sie sind raus aus dem Fall, Nick.»
Gloria kämpfte mit harten Bandagen und wusste, womit sie ihm am meisten weh tun konnte – mit unbeantworteten Fragen. Nick brauchte Antworten. Er würde sich mit seiner Situation abfinden können, wenn Meister Tod gefasst wäre. Dafür nähme er auch in Kauf, seinen Job
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