Das Schweigen der Tukane
in eine äusserst unangenehme Situation. Wäre es um ihn und Emma gegangen, hätte ich sofort zugesagt. Keine Frage. Aber für eine wildfremde Person bürgen? Das musste ich mir überlegen und in Ruhe mit Andrea besprechen. Deshalb bat ich ihn um Bedenkzeit.»
«Wie kann Grauwiler eine Bürgschaft übernehmen, wenn er das Geld dazu nicht besitzt?»
«Genau diese Frage stellte mir Andrea auch. Ich erkundigte mich bei unserem Finanzberater. Keine Bank akzeptiert eine Person als Bürge, die nicht solvent ist.»
«Aber Peter Grauwiler war ein vermögender Mann, wie unsere Nachforschungen ergaben.»
«Sie sagen es, Herr Kommissär. Im Anschluss an unser Gespräch liess ich ein wenig meine Beziehungen spielen und ich bin zum gleichen Ergebnis gekommen. Peter hat keine Schulden, ganz im Gegenteil. Er besitzt mehrere Liegenschaften und verfügt über ein stattliches Aktienportfolio. Warum in aller Welt hat er mich in dieser Angelegenheit um Hilfe gebeten? Es ist mir bis heute ein Rätsel geblieben und irgendwie war ich von meinem Freund enttäuscht. Ich rief ihn dann an, gab meiner Enttäuschung Ausdruck und lehnte die Bürgschaft ab.»
«Nahm er danach nochmals einen Anlauf?»
«Nein. Das war unser letztes Gespräch.»
«Hat er nichts zu seiner Verteidigung angeführt?»
«Nur, dass er es verstehen würde. Dann müsse er jetzt eben einen anderen Weg beschreiten. Es würde ihn allerdings sehr treffen, dass ich von ihm enttäuscht sei. Die Freundschaft wäre ihm heilig. Er zitierte gar aus Schillers Ode ‹An die Freude›, die eine Gesellschaft gleichberechtigter Menschen beschreibt, verbunden durch das Band der Freude und der Freundschaft: ‹Wem der grosse Wurf gelungen, eines Freundes Freund zu sein.› Dieser Vergleich rührte mich. Andrea und ich unterhielten uns am Wochenende nochmals über die Bürgschaft und entschieden, Peter doch zu helfen. Aber dazu ist es nun nicht mehr gekommen. Leider.»
Ferrari stand am Fenster und blickte den vorbeiziehenden Wolken nach.
«Wie kann der Sohn solcher Eltern nur so ein verkommenes Subjekt sein?»
«Er ist ein verzogenes Einzelkind, Nadine. Geld ist keine Garantie dafür, dass jemand anständig bleibt. Bei Stolz junior bewirkte es das Gegenteil. Eine Art nicht enden wollende Rebellion.»
«Dann soll er ihm den Geldhahn zudrehen.»
«Dafür ist es zu spät, befürchte ich. Eine eigenartige Geschichte mit dieser Bürgschaft. Ich kann sie drehen und wenden, wie ich will, aber schlau werde ich nicht daraus.»
«Tatsache ist, dass Peter Grauwiler kein Geld brauchte. Er konnte locker die Bürgschaft garantieren. Wurde er erpresst?»
«Du meinst von Nora Schüpfer?»
«Oder von jemand anderem, sonst ergibt das Ganze keinen Sinn. Peter und Emma Grauwiler sind reich. Trotzdem will er, dass Stolz senior die Bürgschaft übernimmt. Da liegt doch die Vermutung nahe, dass er Geld flüssig machen wollte. Nämlich jene zwei Millionen Franken, die durch die Bürgschaft gebunden sind. Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, wozu Peter Grauwiler das Geld benötigte und dann sind wir einen grossen Schritt weiter.»
«Fragen können wir ihn leider nicht mehr.»
«Deine Scherze waren auch schon besser. Wir fragen Emma. Aber vorher soll unser Putz-, Wasch- und Bügelteufel uns autorisieren, damit wir an alle Konten von Nora Schüpfer kommen.»
«Ich habe es genau gehört, Frau Kupfer! Ganz genau.»
Nadine verzog das Gesicht zu einem säuerlichen Grinsen.
«Wagen Sie es ja nicht, Ihre Halbwahrheiten im Kommissariat zu verbreiten. Sonst lernen Sie mich kennen.»
Ferrari stellte sich Borer staubsaugend mit einer Schürze und einer Masche im Haar vor.
«Die Genehmigung können Sie in einer Stunde bei mir abholen. Und Sie hören augenblicklich damit auf, so saudumm zu grinsen, Ferrari! Das ist ein Befehl!»
Die letzten Wolken hatten sich verzogen. Der Himmel präsentierte sich in seinem schönsten Blau. Endlich wird es wieder etwas wärmer. Ferrari warf sich seine Jacke über die Schulter.
«Wohin gehst du?»
«Zur Tramstation.»
«Kommt überhaupt nicht infrage. Wir nehmen mein Auto.»
«Wenns unbedingt sein muss», gab sich der Kommissär geschlagen und folgte seiner Kollegin zum Lift.
«Fang! Du fährst. Ab Montag übernehme ich wieder das Steuer. Also geniess es noch.»
Immerhin! So kann ich das Tempo bestimmen. Ferrari liess sich in den Sitz fallen. Das war die einzige Methode, wie er sich einigermassen elegant hinters Steuer des Porsches klemmen konnte. Was ist denn
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