Das Schweigen des Glücks
hin. Ich habe das Gefühl, ich könnte ein bisschen Erholung gebrauchen.«
Sprichst du von mir oder von deiner Arbeit?
»Du fährst also morgen?«
Taylor rutschte ein bisschen hin und her.
»Eher mitten in der Nacht. Wir fahren so gegen drei Uhr los.«
»Da bist du todmüde.«
»Das kriegt man mit einer Thermoskanne Kaffee in den Griff.«
»Dann solltest du mich heute Abend nicht abholen«, kam Denise ihm entgegen. »Du solltest ein bisschen schlafen.«
»Mach dir keine Gedanken. Ich hole dich ab.«
Denise schüttelte den Kopf.
»Nein, lass mal – ich frage Rhonda. Sie fährt mich bestimmt nach Hause.«
»Bist du sicher, es macht ihr nichts aus?«
»Sie wohnt ganz in der Nähe und in der letzten Zeit habe ich sie selten darum gebeten.«
Taylor legte den Arm um Denise und zog sie zu sich. Sie war überrascht. »Ich werde dich vermissen.«
»Ach wirklich?«, sagte sie und hasste den wehleidigen Ton in ihrer Stimme.
»Natürlich. Besonders gegen Mitternacht. Wahrscheinlich setze ich mich aus schierer Gewohnheit in meinen Truck.«
Denise lächelte und dachte, er würde sie küssen. Stattdessen wandte er sich ab und sagte in Kyles Richtung: »Und dich werde ich auch vermissen, kleiner Mann.«
»Ja«, sagte Kyle, die Augen wie festgeklebt an der Mattscheibe.
»He, Kyle«, sagte Denise, »Taylor fährt für ein paar Tage weg.«
»Ja«, sagte Kyle wieder und hörte offenbar nicht zu.
Taylor ließ sich vom Sofa herab und kroch auf allen vieren zu Kyle.
»Hörst du mir auch zu, Kyle?«, knurrte Taylor.
Als Taylor neben ihm war, durchschaute Kyle seine Absicht, kreischte auf und versuchte zu entkommen. Doch Taylor hatte ihn schon gepackt und fing an, mit ihm zu ringen.
»Hörst du mir auch zu?«, fragte Taylor.
»Ea tämt«, kreischte Kyle und ruderte wild mit Armen und Beinen.
»Dich kriege ich«, brüllte Taylor und in den nächsten fünf Minuten war auf dem Fußboden im Wohnzimmer die Hölle los. Als Kyle sich ausgetobt hatte, gab Taylor ihn frei.
»He, wenn ich wieder da bin, gehen wir zwei zu einem Baseball-Spiel. Wenn deine Mom einverstanden ist, versteht sich.«
»Besbapiel?«, wiederholte Kyle fragend.
»Ich habe nichts dagegen.«
Taylor zwinkerte erst Denise, dann Kyle zu.
»Hast du gehört? Deine Mom sagt, wir dürfen.«
»Besbapiel!«, schrie Kyle ganz laut.
Wenigstens mit Kyle ist er so wie immer.
Denise warf einen Blick auf die Uhr.
»Es ist Zeit zu gehen«, seufzte sie.
»Schon?«
Denise nickte und erhob sich vom Sofa, um ihre Sachen einzupacken. Wenige Minuten später waren sie auf dem Weg zum Diner. Als sie dort ankamen, ging Taylor mit ihr zur Tür.
»Rufst du mich an?«
»Ich versuche es«, versprach Taylor.
Sie sahen sich einen Moment an, bevor Taylor sie zum Abschied küsste. Denise ging hinein. Sie hoffte, die Fahrt würde Klarheit in seine Gedanken bringen.
Falls dem so war, erfuhr Denise davon nichts.
Denn in den nächsten vier Tagen hörte sie nichts von ihm.
Sie hasste es, auf das Klingeln des Telefons zu warten. Im College hatte sie ein Zimmer mit einer Freundin geteilt, die manchmal abends nicht ausgehen wollte, weil sie dachte, ihr Freund könne anrufen. Denise hatte immer versucht, ihre Mitbewohnerin zu überreden, doch mitzukommen, meistens vergeblich, und war dann mit anderen Freunden ausgegangen. Wenn sie denen erzählte, warum ihre Freundin nicht dabei war, schworen sie alle Stein und Bein, dass sie so etwas nie tun würden.
Aber nun saß Denise da und fand es auf einmal ziemlich schwer, ihre eigenen Ratschläge zu befolgen.
Natürlich legte sie nicht ihr normales Leben auf Eis, wie ihre Mitbewohnerin das getan hatte. Dazu hatte sie zu viele Verpflichtungen. Trotzdem hechtete sie jedes Mal zum Telefon, wenn es klingelte, und war enttäuscht, wenn es nicht Taylor war.
Und dabei fühlte sie sich völlig machtlos – ein Gefühl, das sie verabscheute. Sie war nicht der hilflose Typ und weigerte sich, es jetzt zu werden. Er hatte also nicht angerufen… Na und? Weil sie arbeitete, konnte er sie abends nicht erreichen und den Tag verbrachte er wahrscheinlich in den Wäldern. Wann sollte er sie also anrufen? Mitten in der Nacht? Oder beim Morgengrauen? Sicher, er konnte anrufen, wenn sie nicht da war, und ihr eine Nachricht hinterlassen, aber warum sollte sie das erwarten?
Und warum erschien es ihr so wichtig?
Ich weigere mich, so zu sein,
sagte sie sich. Nachdem sie immer wieder die Erklärungen durchgegangen war und sich überzeugt hatte, dass sie
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