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Das Schweigen des Glücks

Das Schweigen des Glücks

Titel: Das Schweigen des Glücks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicholas Sparks
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angesehen.
    Das Foto war eine Woche vor dem Unfall gemacht worden, an einem warmen Morgen im Juni, vor ihrem Haus. Auf dem Bild ging sein Vater die Stufen der hinteren Veranda runter, die Angel in der Hand, auf dem Weg zum Fluss, dem Chowan. Obwohl er, Taylor, nicht zu sehen war, war er in der Nähe, im Haus, und suchte seine Köder und anderen Utensilien zusammen. Seine Mutter hatte sich hinter dem Auto versteckt, und als sie den Namen seines Vaters rief, hatte der sich umgedreht und sie hatte auf den Auslöser gedrückt. Weil sie den Film eingeschickt hatte, war er nicht zerstört worden wie die anderen Fotos. Judy hatte ihn erst nach der Beerdigung abgeholt und geweint, als sie sich die Bilder ansah. Dann hatte sie sie in ihre Handtasche gesteckt. Für andere war es kein besonderes Foto – sein Vater mitten in der Bewegung, die Haare ungekämmt, ein Fleck auf dem zugeknöpften Hemd, das er trug –, aber für Taylor fing es das Wesen seines Vaters ein. Er war da, der nicht zu unterdrückende Unternehmungsgeist, der seinen Vater ausgemacht hatte, und deswegen war seine Mutter so stark berührt von dem Bild. Er drückte sich in seinem Gesicht, in dem Leuchten seiner Augen, in seiner unbeschwerten und zugleich sehr wachen Haltung aus.
    Einen Monat nach dem Tod seines Vaters hatte Taylor das Foto aus der Handtasche seiner Mutter genommen und war mit dem Bild in der Hand eingeschlafen. Seine Mutter war in sein Zimmer gekommen und hatte es gefunden, seine Finger hatten es fest im Griff. Das Foto selbst war tränenverschmiert. Am folgenden Tag hatte sie einen neuen Abzug von dem Negativ machen lassen und Taylor hatte vier Lutscherstiele auf ein Stück Glas geklebt und einen Rahmen für das Bild gemacht. In all den Jahren war es ihm nicht in den Sinn gekommen, das Bild neu zu rahmen.
    Sechsunddreißig.
    Sein Vater wirkte so jung auf dem Bild. Sein Gesicht war schlank und jugendlich, um die Augen und auf der Stirn sah man nur ganz schwache Anzeichen von Falten, die nie tiefer werden würden. Warum aber kam Taylor sein Vater noch heute so viel älter vor als er selbst? Sein Vater war ihm immer so… weise vorgekommen, so sicher in allem, so tapfer. In den Augen des Neunjährigen war er ein Mann von mythischen Dimensionen gewesen, ein Mann, der das Leben verstand und fast alles erklären konnte. Lag es daran, dass er intensiver gelebt hatte? War sein Leben von tieferen, besonders außergewöhnlichen Erfahrungen bestimmt gewesen? Oder war der Eindruck, den er hinterließ, aus den Gefühlen eines Jungen für seinen Vater entstanden, bis hin zu dem letzten Moment, in dem sie zusammen waren?
    Taylor wusste die Antworten nicht und er würde sie auch nie wissen. Sie waren schon vor langer Zeit mit seinem Vater begraben worden.
    Er konnte sich kaum an die Wochen unmittelbar nach dem Tod seines Vaters erinnern. Diese Phase war auf seltsame Weise zu einer Reihe fragmentarischer Erinnerungen reduziert: die Beerdigung, die Tage im Haus der Großeltern am anderen Ende der Stadt, die beklemmenden Albträume. Es war Sommer – Ferienzeit – und Taylor verbrachte die meisten Zeit draußen und versuchte das Geschehene auszulöschen. Seine Mutter trug zwei Monate lang Schwarz und trauerte um ihren Mann. Dann legte sie die schwarzen Kleider fort. Mutter und Sohn fanden ein neues Haus, ein kleineres, und obwohl ein Neunjähriger kaum richtig erfassen kann, was Tod bedeutet und wie man damit umgeht, wusste Taylor genau, was seine Mutter ihm sagen wollte.
    Jetzt sind wir zwei allein und müssen weiterleben.
    Nach jenem schicksalhaften Sommer hatte Taylor die Schule eher nebenbei durchlaufen, er hatte anständige, aber keine Aufsehen erregenden Noten bekommen und war von einer Klasse in die nächste aufgestiegen. Er war bemerkenswert widerstandsfähig, sagten die anderen, und in gewisser Weise hatten sie Recht. Die Fürsorge und seelische Kraft seiner Mutter bewirkten, dass seine Jugend wie die der meisten anderen jungen Menschen in diesem Landstrich verlief. Er ging zu jeder Gelegenheit zelten und rudern; in den Jahren auf der High-School spielte er Football, Basketball und Baseball. Doch in anderer Hinsicht galt er als Einzelgänger. Mitch war immer schon sein einziger richtiger Freund gewesen und in den Sommermonaten gingen sie jagen und fischen, nur sie zwei. Manchmal waren sie eine ganze Woche unterwegs und kamen sogar bis nach Georgia. Obwohl Mitch inzwischen verheiratet war, machten sie das immer noch, so oft sich die Möglichkeit

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