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Das Schweigen des Lemming

Das Schweigen des Lemming

Titel: Das Schweigen des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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geschlagen. Der Krieg ist verloren – für alle, wie immer. Wer noch dazu in der Lage ist, schleppt sich vom Schlachtfeld, um seine Wunden zu lecken – Schadensbegrenzung nennt man das wohl: Für Adler und Löwin Erkenntnis statt Freundschaft und Liebe. Für Hörtnagl die Saliera statt seines Sohnes. Für Josef Pokorny fünftausend Euro statt seiner Wohnung, statt seines Eckzahns – und statt seiner Arche   …
    Nein: zehntausend Euro.
    «Weißt du, Pepi   … Du brauchst dringend eine neue Ziehharmonika   …»
    Und ehe Pen Gwyn widersprechen kann, tritt der Lemming hinaus in die Nacht.
     
    Seltsam. Ein seltsames Glücksgefühl. Beinahe unziemlich angesichts der vergangenen Tage   … Trotzdem: irgendwie läppisch-euphorisch, ein stilles Vergnügen, der Abgang, der Fortgang, der Heimgang   …
    Ein Glück auch, dass der Würstelstand noch geöffnet hat: Er wartet an der Ecke wie ein Leuchtturm inmitten des finsteren Häusermeers.
    «Was darf’s sein, der Herr?»
    «Ich hätt gern   … Sagen S’, haben Sie auch Knackwürste?»
    «
Was
wollen S’ haben? I bitt Sie, der Herr: Mir san a Würschtelstand und ka Beamtengreißler   …»
    «Schon gut   … Dann nehm ich   … ein Bratwürstel – nein, geben S’ mir gleich zwei   … Und ein paar Salzgurken dazu   …»
    «Wieviel Gurkerln wollen S’ denn?»
    «Wieviel Gurkerln haben S’ denn?»
    Ein langer, gelangweilter Blick des Würstelmanns.
    «San S’ ’leicht mit dem Lastwagen da?»
    Seltsames Glücksgefühl   …
    Drei Gläser Salzgurken für die Gazelle, zwei knusprige Bratwürste für den Hund. Und ein Lächeln, ein sonniges, seliges Lächeln für den kleinen Lemming: So macht sich der große Lemming auf den Weg nach Ottakring.

30
    Lieber Poldi!
    Erstens bin ich Dir bös.
    Und zweitens bin ich Dir dankbar.
    Bös bin ich, weil Du mich einfach so sitzen gelassen hast mit dem ganzen kleinen Vermögen. Und dankbar bin ich – na ja, um ehrlich zu sein: aus demselben Grund. Und noch aus hundert anderen, aber das weißt Du ja sowieso.
    Ich kann es jetzt doch ganz gut brauchen, das Geld: Nachdem Du so freundlich warst, in dieser Woche meine Dienste zu übernehmen, hab ich mich gestern in den Zug nach Budapest gesetzt. Es gibt hier nicht nur gute und günstige Akkordeons; auch die Dentisten sind wahre Künstler. Und mit dem geeigneten Material   … Doppelt schade, dass uns das Salzfass abhanden gekommen ist – stell Dir vor: Ein echter Goldzahn aus der Renaissance, das hätte schon was hergemacht.
    Am Samstag war die Polizei noch einmal bei mir, in meiner
notdürftig aufgeräumten Wohnung. Ich hab noch in der Mittwochnacht zu Protokoll gegeben, dass ich den Bären zufällig gekannt hab, also wollten sie eine Art psychologisches Gutachten von mir, eine Bestätigung für ihre seichte Hypothese, dass sich der Putzer aus Liebeskummer umgebracht hat. Hätt ich ihnen widersprechen sollen? Wie auch immer: Jetzt ist es amtlich, Stempel drauf, Akte zu und ab ins Archiv.
    Hart an der Wahrheit vorbei ist auch eine Kunst.
    Mit der Löwin und dem Adler hab ich mich schon davor unterhalten. Was soll ich sagen: Erschütterung. Tränen. Und eine Flut von Entschuldigungen, vor allem zwischen den beiden. Trotzdem gibt es wohl Dinge, die nicht mehr zu kitten sind. Versunkene Schiffe zum Beispiel, oder gebrochenes Vertrauen.
    Jedenfalls werden sie schweigen, die zwei – je eher sie die ganze Angelegenheit vergessen, desto besser   …
    Bleibt nur noch die Frage, was der alte Hörtnagl vorhat. Mit der Saliera, meine ich. In die Vitrine stellen? Vergraben? Verhökern? Oder einfach so zurückgeben?
    Ich hab’s mir lange überlegt, und ich glaub mittlerweile, dass er nichts von alledem tun wird. Solang die Krimineser noch in dem Diebstahl ermitteln, wird der Alte nachts kein Auge zukriegen. Der wird erst seine Ruh haben, wenn der selige Floh für alle Zeiten entlastet, von jedem potenziellen Verdacht befreit ist. Also sag ich Dir, was ich an seiner Stelle tät:
    Ich würd mir einen suchen, der für ein paar hunderttausend Euro freiwillig ins Gefängnis geht. Der ausreichend falsche Beweise bastelt, dann einen scheinbar unabsichtlichen Fehler macht, die Polizei auf seine Fährte lockt und am Ende mit unserem Kleinod herausrückt. Spät genug, um glaubwürdig zu wirken, aber gerade noch rechtzeitig, dass seine Strafe nicht so hoch wird. du wirst sehen, Wallisch: Spätestens in zwei, drei Jahren ist die Saliera wieder da. Und alle werden glücklich sein, ausnahmslos:

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