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Das Schweigen des Lemming

Das Schweigen des Lemming

Titel: Das Schweigen des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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Galeristen die größten Krapfen scheißen kann? Soll i dir auch einmal einen verehren?» Er unterstreicht seinen launigen Kommentar mit einem hintergründigen Grinsen.
    Galerist, denkt der Lemming. Schon wieder eines dieser trefflichen Worte aus dem guten alten Verbrechermilieu. Es leitet sich von der obersten Etage, also von der Galerie des Hochsicherheitstraktes, ab und bezeichnet ganz gemeinhin einen Unterweltler.
    «Danke, Schmierer, ich hab’s gesehen. Alle Achtung, wirklich bemerkenswert, die reine Mastdarmakrobatik. Aber du solltest dir trotzdem einmal überlegen, deine Nahrung umzustellen, sonst erstickst du noch einmal bei deinen Kunststückeln   …»
    Pekarek presst beleidigt die Lippen aufeinander, und der Lemming wendet sich wieder an Walla.
    «Und weiter? Was habts ihr als Nächstes gemacht?»
    «Net viel. Bericht erstattet halt   …»
    «Wem? Komm schon, lass dir nicht alles aus der Nase ziehen   …»
    «Na unserem Kunden, wem sonst? Dem feinen Herrn Polithansel, der uns auf den Pokorny ang’setzt hat   …»
    «Gut. Ich seh schon, das wird nichts.» Der Lemming ziehtsein Portemonnaie heraus. «Auf die Art kommen wir nicht ins Geschäft.»
    «Jetzt wart doch! So schnell schießen die Preußen net!»
    Der schnelle Finger sieht nun regelrecht verzweifelt aus. Er ringt die Hände, ringt nach Worten. Er ringt mit sich selbst. Wenn es nicht Franz Walla wäre, denkt der Lemming, könnte er einem fast Leid tun   …
    «Is ja gut», stöhnt Walla. «I weiß eh, du hast uns bei die Eier   … Plessel, verstehst, und noch einmal sag i’s net. Otto Plessel. Bist jetzt endlich zufrieden?»
    Von zufrieden kann keine Rede sein. Vom Schlag gerührt, das ja. Verdutzt ist der Lemming, verstört. Und auch ein wenig angewidert   …
     
    Bis vor kurzem hätte ihm der Name Otto Plessel nicht das Geringste gesagt; er wäre bei ihm auf dieselbe achselzuckende Gleichgültigkeit gestoßen wie bei den meisten anderen Wienern. Plessel ist noch vor einem Jahr ein unbedeutender Kommunalpolitiker gewesen, hat verschiedene kleine Posten hinter den Kulissen einer der Großparteien bekleidet. Es gibt ja vier Grundfarben in Österreich, die, wenn man sie alle zusammenmischt, ein schmutziges Schwarz ergeben: Rot, Grün, Blau und eben Schwarz, das – sofern man es überhaupt zu den Farben zählt – den chromatischen Abyssus dieses an sich schon dürftigen Spektrums charakterisiert, die völlige Absenz jeglichen lichten Moments. Die Denk- und Sinnesarten, die den Vertretern der vier politischen Richtungen eigen sind, lassen sich am ehesten anhand eines einfachen Beispiels beschreiben: Man nehme das Grab des Unbekannten Soldaten am Wiener Heldenplatz und male sich aus, was die jeweiligen Parteifunktionäre in ihren kühnsten Traumphantasien damit anstellen würden.
    Der Schwarze privatisiert es und verbringt fortan seine Urlaube auf dem Landsitz des Industriellen, dem er es verkauft hat.
    Der Rote erklärt es zum verstaatlichten Betrieb und übernimmt den Posten des Generaldirektors.
    Der Grüne bepflanzt es und widmet es zum Nationalpark um.
    Und der Blaue schließlich legt einen Kranz aus Kornblumen nieder, nachdem er sich vergewissert hat, dass der unbekannte Soldat auch einen ordentlichen deutschen Namen trägt. Natürlich ist das alles reine Theorie. In Wahrheit würde jeder brave Parteisoldat das Grab mit Plakatständern schmücken, um die Bürger der Stadt mit seinen Wahlkampfslogans zu bombardieren.
    So, wie das auch Otto Plessel getan hat. In Ermangelung weiterer Aufstiegschancen aus seiner Partei geschieden, hat er vor wenigen Monaten eine eigene kleine Bezirksfraktion gegründet, eine Liste mit dem geistreichen Namen
Mir san mir
– also die wienerische Diktion von
Wir sind wir
. Und ist sofort mit einer Aufsehen erregenden Serie von Plakaten an die Öffentlichkeit getreten, die ihm über Nacht zu lokaler Berühmtheit verholfen haben.
    Wiener Blut statt Türkenbrut!
    Mir san mir!
    So lautete einer der Texte unter Plessels Konterfei, das ihn – mit einem pummeligen Baby auf dem Arm – vor der Kulisse des Augartens zeigte. Breit und aufgeschwemmt der Körper, an sich ebenmäßig das Gesicht, jedoch von einem süffisanten Lächeln und von einer langen Narbe auf der linken Wange ins Asymmetrische verzerrt: Man gehört natürlich einer schlagenden Verbindung an   …
    Wiener Luft statt Balkanduft!
    Mir san mir!
    Ein ähnliches Sujet, nur diesmal ohne Kind. Im Hintergrund das saftige Grün der Praterauen.
    Wiener

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