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Das Schweigen des Lemming

Das Schweigen des Lemming

Titel: Das Schweigen des Lemming Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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ein Spektakel geworden, ein denkwürdiges Schauspiel: Der Vorhang geht hoch, und da steht es, das geraubte, das verschollene, das unersetzliche Tabernakel königlicher Frühstückseier   … Dass es aber binnenweniger Stunden zu den Top Ten der weltweiten Fahndungslisten zählen würde, zur internationalen Elite gestohlener Kunstwerke, damit haben die vier nicht im Traum gerechnet. Der Aufschrei, der noch am selben Abend durch alle Medien gegangen ist, war ein Schock für sie, ein gewaltiger Schock. Vor allem für den Florian: Wie gesagt, er war halt nie sehr belastbar, rein nervlich gesehen   … Der Floh ist fast durchgedreht vor Angst; er wollt sie sofort zurückgeben, die Saliera, anonym selbstverständlich. Einfach vor die Tür des Kunsthistorischen legen wie ein ungewolltes Baby und sich dann rasch aus dem Staub machen   … Aber da hat er nicht mit der Beharrlichkeit der anderen gerechnet. Du kannst es Sturheit nennen, Wallisch, meinetwegen. Du kannst es jugendlichen Starrsinn nennen. Ich für meinen Teil tät’s als Stehvermögen bezeichnen. Man bricht ein Match nicht einfach ab, nur weil der Gegner seine Muskeln spielen lässt. Besonders dann nicht, wenn der Gegner blind ist: Die Krimineser haben ja keinen blassen Schimmer gehabt, wo sie mit der Suche beginnen sollen, die sind ja völlig im Dunkeln getappt, stark, ja, aber blind wie der Polyphem, nachdem ihm der Odysseus sein Zyklopenauge ausgestochen hat   …
    Der Putzer, der Murauer und die Wernle haben ihn also überstimmt, den kleinen Hörtnagl. Sie haben beschlossen, das Theaterprojekt ein paar Monate zu verschieben und das Corpus Delicti zu verstecken, bis Gras über die Sache gewachsen ist. In den Spind vom Bären haben sie’s gelegt, unten im Aktsaal der Akademie: ein unförmiger, mit Lumpen gepolsterter Plastiksack, im Grunde für jedermann zugänglich. Aber wer räumt schon ein Sackerl mit fleckigen Malfetzen aus, wenn’s nicht ihm gehört? Die kleinen goldenen Figuren waren also gut verhüllt, während die großen, die aus Fleisch und Blut, keine fünf Meter weiter ihre Hüllen haben fallen lassen   …
    Dreieinhalb Monate sind vergangen; die Situation hat sich beruhigt, die Presse hat sich beruhigt, und langsam hat sichauch der Floh beruhigt. Ab und zu haben die vier gemeinsam nachgeschaut, ob das gute Stück noch da ist, und ja: Alles war unberührt und unversehrt. Aber dann, am vergangenen Freitag, ist die Bombe geplatzt   …»
    Pokorny stößt ärgerlich die Luft aus und zeigt auf eine Stelle am Sockel der Statue. «Da   … Da schau her   …»
    «Die Emailbrösel   … Der Brief an die Versicherung   …», murmelt der Lemming.
    «Richtig! Der Erpresserbrief. Jetzt nicht, dass die Brösel extra entfernt worden sind, wahrscheinlich sind sie von selbst abgebrochen: Man sieht ja, dass die Glasur zum Teil schon ganz schön desolat ist. Aber darum geht’s auch gar nicht. Der Punkt ist, dass einer von den vieren Scheiße gebaut hat. Verstehst, Wallisch, eine riesige, unverzeihliche Scheiße! Etwas hundertmal Schlimmeres, als diesen   … diesen goldenen Briefbeschwerer zu beschädigen. Er hat die anderen verraten. Er hat   … ein gewaltiges Leck in die Arche geschlagen   …»
    «Leck Arsch   …»
    «Du sagst es, Wallisch, Kalauer hin oder her.»
    «Am Freitag also   …»
    «Ja. Am Donnerstag ist der Brief bei der Versicherung angekommen, und am Freitag ist es schon in der Zeitung gestanden   … Da hat sie zu sinken begonnen, die Arche des Pinguin. Am Freitagnachmittag haben sich die vier in der Akademie getroffen, du kannst dir vielleicht vorstellen, in welcher Stimmung. Zornig, wütend und erschüttert Löwin, Bär und Adler. Völlig aufgelöst der Floh. Sie sind runter in den Aktsaal und haben den Spind vom Putzer geöffnet. Und sie haben mehr als alles andere gehofft, dass der Plastiksack verschwunden ist – zumindest drei von ihnen haben das gehofft   …»
    «Aber er war noch da   …»
    «Allerdings. Er war noch da. Die vier haben ihn geschnappt und sind aufs Klo gegangen. Gemeinsam. Haben die Saliera ausgepackt, auf der Klobrille, und haben sie auf Kratzspurenuntersucht. Aber wie gesagt, man braucht keine Brille, um zu erkennen, dass die Emaillierung schon ein bissel desolat ist   …
    Und dann, am Freitagabend, sind sie bei mir vor der Tür gestanden, die vier. Und haben mir alles erzählt. Sie haben mich quasi vom Mentor zum Mediator befördert: ein Schicksal, das dem seligen Noah mit seinen Tieren erspart

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