Das Schweigen des Lemming
Moment war klar, es muss einer der vier gewesen sein …
Ob ich mit dem Gedanken gespielt hab, wirklich zur Akademie zu marschieren und dieses … Scheißding loszuwerden? Möglich. Vielleicht hab ich’s kurz überlegt. Aber erstens: Ein Versprechen ist ein Versprechen ist ein Versprechen. Und zweitens wär ich eh nicht mehr dazu gekommen: Am frühen Nachmittag, kurz vor drei, sind die Vandalen bei mir eingefallen. Die haben nicht einmal angeklopft. Haben – ganz nach Wildwestmanier – die Tür eingetreten. Zwei Männer – ausgewachsene Männer. Ich hab nur das Krachen der Tür gehört, dann ihre Stimmen, und hab mich sofort aus dem Staub gemacht. Mit dem Koffer über die Terrasse: Ich hab da einen kleinen Fluchtweg …»
«Die alte Feuertreppe, vorn an der Spitze des Hauses …»
«Du bist mir wirklich ein Rätsel, Wallisch …»
Einmal mehr greift sich Pokorny jetzt an die Nase. Reibt und knetet sie hingebungsvoll. Sieht dann den Lemming an und meint: «Sag … Was hast du eigentlich bei mir zu suchen g’habt? Warst du … Warst du ’leicht einer von den beiden?»
«Aber nein!» Der Lemming hebt beschwichtigend die Arme. «Ich bin nur zufällig darauf gestoßen, ehrlich. Zwei Tage später erst, am Montag. Da hab ich die Sauerei entdeckt, die die zwei hinterlassen haben …»
«Hm …», brummt Pokorny. «Hm …»
«Ich erzähl dir schon noch, was ich von dir wollt. Nur keine Sorge, Pepi …»
«Na, wenn du meinst …»
«Ein Versprechen ist ein Versprechen ist ein Versprechen …»
«In Ordnung.»
Pokorny lässt seine Nase los. Ein sanftes, argloses Lächeln liegt nun auf seinem Gesicht. Und diesmal lächelt der Lemming zurück; er kann gar nicht anders: Die vergangene Stunde hat etwas in ihm verändert, schleichend, beinahe unmerklich. Das Vertrauen ist die heimlichste Besatzungsmacht des Herzens; es kommt immer auf leisen Sohlen …
«Nachdem du also getürmt bist, hast du dich auf den Weg zu mir gemacht, in die Servitengasse …»
«Genau. Und nach deiner gütigen Zusage, meinen Dienst zu übernehmen, hab ich mich in den Zug gesetzt. Nein, nicht nach Linz, da hab ich dich angeschwindelt, zugegeben. Ich bin einfach irgendwohin gefahren, ich glaub, es war Eisenstadt oder Baden, und hab mich dort in der Bahnhofspension verkrochen. Bin nur zum Frühstück hinaus und um die Zeitung zu kaufen … Gestern hab ich vom Riedmüller gelesen, von diesem Überfall. Und heute früh … das mit dem Florian … Herrgott, Poldi … Ausgerechnet der Florian … Ich hab versucht, mich zu beruhigen. Stundenlang. Ein Unfall, hab ich mir gesagt, ein Unfall, so wie sie’s ja auch geschriebenhaben in der
Reinen Wahrheit
. Das hat nichts mit der Saliera-G’schicht zu tun, hab ich mir eingeredet … Und dabei ist mir nicht einmal bewusst gewesen, dass ich sozusagen selber schon ermordet war …»
Der Lemming horcht auf.
«Wie meinst du das?»
«Na, der Pinguin.
Ich
hätt doch Nachtdienst haben sollen am Samstag.
Ich
hätt ihn finden sollen, den Vogel, nicht du, Poldi. Und es ist vollkommen klar, was mir das Schwein damit sagen wollte …»
«Deshalb also», nickt der Lemming. «Deshalb war auch die Vordertür aufgebrochen. Damit die Botschaft auch bestimmt beim richtigen Empfänger landet …»
«Jetzt bist du tot …»
«Jetzt bist du tot, Pen Gwyn Pokorny …»
25
Zwei Lichtkegel bahnen sich ihren Weg durch die Zeilen Schönbrunns. Frisch und klar ist die Abendluft, gereinigt vom Regen, der selbst die beharrlichsten Düfte der Fauna ins Erdreich gewaschen hat. Sogar die Tiere scheinen aufzuatmen: In den Gehegen herrscht seltene Ruhe. Die Scheinwerfer streichen gemächlich über die Gitterstäbe und Mauern; der Elektrowagen legt sich in die Kurve, erreicht die Senke vor dem Affenhaus und biegt ab zum Kaiserpavillon.
Es ist schon ein seltsames Paar, das in dem kleinen, fast lautlosen Wagen sitzt. Zu einer helleren Tageszeit, auf einem grüneren Terrain könnte man sie für Golfspieler halten, die sich ihre nächsten Schläge, ihre nächsten Züge überlegen …
Hinter dem Volant Pokorny, hochkonzentriert, das Steuer fest in beiden Händen. Daneben der Lemming, das Spielgerät auf seinem Schoß – nein, keine Hölzer und Eisen, nuretwas Gold, Email und Wachs. Krampfhaft umklammert er den schwarzen Koffer, um ihn gegen die Stöße des holprigen Pflasters abzufedern.
Alle zwei bis drei Stunden hat der Nachtwächter eine Runde zu
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