Das Schweigen des Sammlers
Augenblick mal. Er hob die Geige hoch und las das Etikett auf der Innenseite: Laurentius Storioni Cremonensis me fecit 1764. Was das wohl bedeuten mochte.
Höß, dieser strohdumme Bauerntrampel, bestellte ihn um drei zu sich und wagte es, ihm naserümpfend zu sagen, als Gast des Konzentrationslagers stehe ihm ein solcher Auftritt nicht zu, er dürfe nicht einfach einen Häftling an der Selektionsrampe hinrichten, Herr Sturmbannführer Doktor Voigt.
»Sie hat mir den Gehorsam verweigert.«
»Was trug sie bei sich?«
»Eine Geige.«
»Kann ich die mal sehen?«
»Sie ist nicht viel wert, Herr Obersturmbannführer.«
»Egal, ich will sie sehen.«
»Sie ist völlig uninteressant, glauben Sie mir.«
»Das ist ein Befehl.«
Doktor Voigt öffnete den Apothekenschrank und sagte leise mit beflissenem Lächeln: »Natürlich, sofort, Herr Obersturmbannführer.«
Während er die Geige betrachtete und auf Schäden untersuchte, sagte Rudolf Höß, ich kenne keinen Musiker, der mir sagen könnte, was sie wert ist.
»Darf ich Sie daran erinnern, dass ich sie gefunden habe, Herr Obersturmbannführer.«
Rudolf Höß hob den Kopf, verwundert über DoktorVoigts schneidenden Ton. Er ließ ein paar Sekunden verstreichen, damit der andere merkte, dass er gemerkt hatte, dass es etwas zu bemerken gab, allerdings war ihm nicht ganz klar, was.
»Sagen Sie nicht, sie sei wertlos?«
»Ist sie auch. Aber sie gefällt mir.«
»Nun, ich denke, ich werde sie behalten, Herr Doktor Voigt. Als Entschädigung für …«
Er wusste nicht, wofür. Deshalb ließ er den Satz mit drei Pünktchen ausklingen, während er die Geige wieder in den Kasten legte und diesen schloss.
»Igitt.« Mit ausgestreckten Armen hielt er den Geigenkasten weit von sich. »Das ist Blut, oder?«
Er lehnte ihn an die Wand.
»Dank Ihres Übereifers muss ich jetzt einen neuen Geigenkasten besorgen.«
»Darum kümmere ich mich schon, weil ich sie behalten werde.«
»Irrtum, mein Freund. Ich werde sie behalten.«
»Sie werden sie nicht behalten, Herr Obersturmbannführer.«
Rudolf Höß packte den Griff des Geigenkoffers, als wollte er ihn notfalls mit Gewalt verteidigen. Jetzt bezweifelte er nicht mehr, dass es ein wertvolles Instrument sein musste. Die Unverschämtheit des Stabsarztes konnte nur bedeuten, dass es sogar sehr wertvoll war. Er lächelte, doch sein Lächeln erstarb, als Doktor Voigt ihm mit seinem Mundgeruch und seiner Knollennase ganz nah kam und sagte: »Sie können sie nicht behalten, weil ich Sie dann anzeigen werde.«
»Anzeigen? Weswegen?«, fragte Höß perplex.
»Wegen sechshundertfünfzehntausendvierhundertachtundzwanzig.«
»Was?«
»Elisaveta Meireva.«
»Was?«
»Häftling Nummer sechshundertfünfzehntausendvierhundertachtundzwanzig, sechs, eins, fünf, vier, zwei, acht, Elisaveta Meireva. Ihr Hausmädchen. Reichsführer Himmler wird Sie zum Tode verurteilen, wenn er erfährt, dass Sie sexuelle Beziehungen zu einer Jüdin hatten.«
Rot wie eine Tomate legte Höß die Geige mit einem dumpfen Schlag auf den Tisch. »Von wegen Beichtgeheimnis, Sie Kanaille.«
»Ich bin kein Priester.«
Die Geige blieb bei Doktor Voigt, der nur vorübergehend in Auschwitz weilte, um mit strengem Blick die Experimente von Doktor Budden zu überwachen, einem Obersturmführer, der so steif war, als hätte er einen Besenstiel verschluckt, und auch die Experimente weiterer drei Assistenzärzte, die er mit der umfassendsten Studie über das menschliche Schmerzempfinden betraut hatte, die jemals durchgeführt worden war oder durchgeführt werden würde. Höß dagegen fragte sich tagelang, ob dieser hinterfotzige, schlitzohrige Halunke von einem Sturmbannführer nicht nur ein hinterfotziger, schlitzohriger Strauchdieb, sondern obendrein ein Klatschmaul war.
»Fünftausend Dollar, Signor Falegnami.«
Der Mann mit den unruhigen Augen richtete seinen immer glasigeren Blick auf Fèlix Ardèvol.
»Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«
»Nein. Wissen Sie was? Ich gebe Ihnen dreitausend dafür, Signor Zimmermann.«
»Sie haben den Verstand verloren.«
»Nein. Entweder Sie überlassen sie mir zu diesem Preis, oder … Nun ja, die Behörden sind sicher begierig zu erfahren, dass der Stabsarzt Aribert Voigt, Sturmbannführer Voigt, noch am Leben ist und sich einen Kilometer von Vatikanstadt entfernt versteckt hält, vermutlich mit der Unterstützung eines hohen Tiers im Vatikan. Und dass er obendrein versucht, mit einer in Auschwitz geklauten Geige Geschäfte
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