Das Schweigen des Sammlers
zu machen.«
Signor Falegnami hatte eine zierliche Damenpistole gezogen und zielte nervös auf Fèlix Ardèvol. Der rührte sich nicht vom Fleck, vielmehr schien er ein Lächeln zu unterdrücken und schüttelte den Kopf, als habe ihm etwas gründlich die Laune verdorben.
»Sie sind allein. Wie wollen Sie meine Leiche loswerden?«
»Es wird mir ein innerer Reichsparteitag sein, mich mit diesem Problem zu befassen.«
»Es gibt noch ein größeres: Wenn ich nicht auf meinen zwei Beinen aus dem Haus komme, wissen meine Männer da draußen ganz genau, was sie zu tun haben.« Herrisch wies er auf die Pistole. »Und jetzt bekomme ich die Geige für zweitausend. Ist Ihnen bewusst, dass Sie für die Alliierten eine der zehn meistgesuchten Personen sind?« Das sagte er aufs Geratewohl und in einem Ton, als tadelte er ein widerspenstiges Kind.
Doktor Voigt sah, wie Ardèvol ein Bündel Geldscheine aus der Tasche nahm und auf den Tisch legte. Mit ungläubig aufgerissenen Augen ließ er die Pistole sinken. »Das sind gerade mal tausendfünfhundert.«
»Gleich verliere ich die Geduld, Herr Sturmbannführer Voigt.«
Dies war Fèlix Ardèvols Feuertaufe im Handelsgewerbe. Nach einer halben Stunde war er wieder draußen auf der Straße, die Geige in der Hand, und ging mit noch leicht beschleunigtem Puls, aber beschwingtem Schritt und dem befriedigenden Gefühl, gute Arbeit geleistet zu haben.
»Du hast das oberste Gebot der Diplomatie missachtet.«
»Wie bitte?«
»Du hast dich benommen wie ein Elefant im Porzellanladen.«
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
Fra Félix Morlin schnauzte ihn an, Entrüstung in Miene und Tonfall: »Ich maße mir nicht an, über Menschen zu urteilen. Signor Falegnami stand unter meinem Schutz.«
»Aber er ist ein ausgemachtes Dreckschwein.«
»Er stand unter meinem Schutz!«
»Und warum beschützt du Mörder?«
Félix Morlin knallte Fèlix Ardèvol die Tür vor der Nase zu, und der verstand nicht, warum der andere so ungehalten war.
Er trat aus dem Kloster Santa Sabina, setzte den Hut aufund schlug den Mantelkragen hoch. Er ahnte nicht, dass er diesen erstaunlichen Dominikaner nie wieder sehen würde.
»Ich bin sprachlos.«
»Ich kann dir noch viel mehr über unseren Vater erzählen.«
Es war bereits Nacht. Sie mussten aufpassen, auf dem unbeleuchteten Weg nicht in die tiefen Rillen zu treten, die die Wagenräder in den inzwischen verkrusteten Schlamm gegraben hatten. Vor Can Ges küsste ihn Daniela auf die Stirn, und sekundenlang erinnerte sich Adrià jenes Engels, der sie einmal gewesen war, wenn auch ohne Flügel und ohne Heiligenschein. In diesem Moment fiel ihm ein, dass längst alles geschlossen war und Tante Leo ohne eine Kleinigkeit auskommen musste.
20
Es war ein Gesicht voller trauriger Falten. Doch fesselte mich der klare, offene Blick, der mich anzuklagen schien. Oder, je nach Betrachtungsweise, auch um Verzeihung zu bitten schien. Ich las viel Leid in diesem Gesicht, noch bevor Sara mir etwas erzählt hatte. Und all dieses Leid war mit wenigen Kohlestrichen auf das dicke weiße Papier gebannt.
»Diese Zeichnung beeindruckt mich am meisten«, sagte ich zu ihr. »Ich hätte ihn gern kennengelernt.«
Sara machte keine Bemerkung dazu; sie legte einfach die Kohlezeichnung der Landschaft von Cadaqués darüber. Still betrachteten wir sie. Das ganze Haus war still. Saras weitläufige Wohnung, in die wir uns fast heimlich geschlichen hatten, weil ihre Eltern an diesem Tag nicht da waren. Das Haus reicher Leute. Wie mein Elternhaus. Wie ein Dieb, wie der Tag des Herrn, wie ein Dieb werde ich dein Heim betreten.
Ich traute mich nicht zu fragen, warum wir hierher kommen mussten, wenn niemand zu Hause war. Adrià freute sich, die häusliche Umgebung des Mädchens kennenzulernen, das ihm mit seinem melancholischen Lächeln und den sanftesten Bewegungen, die ich je bei einem Menschen gesehen hatte, immer mehr unter die Haut ging. Saras Zimmer war größer als meines, doppelt so groß. Und sehr schön: mit einer Tapete, auf der ein paar Gänse und ein Landhaus abgebildet waren, nicht wie Can Ges in Tona, sondern hübscher, sauberer, ohne Fliegen und Gestank, eher wie eine Illustration aus dem Märchenbuch, eine Kindertapete, die man beibehalten hatte, obwohl das Kind inzwischen mittlerweile … wie alt bist du eigentlich, Sara?
»Neunzehn. Und du dreiundzwanzig.«
»Woher weißt du, dass ich dreiundzwanzig bin?«
»Das sieht man.«
Sie legte ein neues Blatt über
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