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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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unterhielten sie sich über Untreue, Anfälle von Wollust, sündhafte Gefühle wie Neid oder Zorn, Vater, ich habe seit so vielen Jahren nicht gebeichtet, und so boten sie den Vorübergehenden auf der Straße einen höchst erbaulichen Anblick.
    »Er ist Pförtner im Uffizio della Giustizia e della Pace.«
    »Ja, ich weiß.« Zwei platschende Schritte. »Wer ist er, nun sag schon. Wie kommt er zu einer so wertvollen Geige?«
    »Tja, wertvoll ist sie wirklich …«
    »Du bekommst deine Vermittlerprovision.«
    »Ich weiß, wie viel er verlangt.«
    »Das habe ich mir schon gedacht. Aber du weißt nicht, wie viel ich ihm bezahlen werde.«
    »Sein Name ist nicht Falegnami, sondern Zimmermann.«
    Er warf Ardèvol einen forschenden Blick zu. Nach einigen weiteren Schritten vergewisserte sich Morlin noch einmal: »Du weißt nicht, wer das ist, wetten?«
    »Bestimmt heißt er auch nicht Zimmermann.«
    »Am besten, du sprichst ihn weiterhin mit Falegnami an.Du kannst ihm ein Viertel der Summe anbieten, die er haben will. Aber er darf sich nicht in die Enge getrieben fühlen, weil …«
    »Weil er gefährlich ist.«
    »Ja.«
    Ein amerikanischer Armee-Jeep raste den Corso entlang und spritzte ihre Soutanen und Hosenbeine nass.
    »Verdammter Drecksack«, sagte Ardèvol. Morlin schüttelte missbilligend den Kopf.
    »Mein lieber Freund«, sagte er mit einem in die Ferne gerichteten Lächeln, als ahnte er die Zukunft voraus. »Dein Temperament wird dir noch zum Verhängnis werden.«
    »Wie meinst du das?«
    »Du darfst dich nicht für stärker halten, als du bist. Schon gar nicht in der heutigen Zeit.«
    »Wer ist dieser Zimmermann?«
    Félix Morlin hakte sich bei seinem Freund ein. Seine Stimme übertönte das Prasseln der Regentropfen auf dem Schirm.
    Draußen war der Wolkenbruch wegen der extremen Kälte in dichten, lautlosen Schneefall übergegangen. Drinnen betrachtete Obersturmbannführer Höß die opalisierende Farbe des Weins in seinem erhobenen Glas und sagte, ja, ich wurde im Schoß einer wohlhabenden, streng religiösen Familie geboren, und es war die moralische Geradheit meiner Erziehung, die meine unbedeutende Person befähigt hat, auf direkten Befehl des Führers und nach konkreten Anweisungen von Reichsführer Himmler die schwere Bürde auf mich zu nehmen und zu einem unverbrüchlichen Bollwerk gegen den Feind unseres Vaterlandes zu werden. Dieser Wein ist ausgezeichnet, Herr Doktor.
    »Danke«, erwiderte Doktor Voigt, dem das Palaver allmählich auf die Nerven ging. »Es ist mir eine Ehre, ihn Ihnen in meinem provisorischen Heim kredenzen zu dürfen«, sagte er. Dieses groteske Gehabe ohne ein Mindestmaß an Manieren ekelte ihn zunehmend an.
    »Provisorisch, aber gemütlich«, sagte der Obersturmbannführer.
    Ein zweiter Schluck. Draußen bedeckte der Schnee bereits die Blöße der Erde mit einer züchtigen, dicken, kalten Decke.
    Rudolf Höß fuhr fort: »Befehle sind mir heilig, so schwer sie mir auch vorkommen mögen, denn als SS-Mann muss ich bereit sein, mich in Erfüllung meiner Pflicht mit Leib und Seele für das Vaterland aufzuopfern.«
    »Natürlich, Herr Obersturmbannführer.«
    Und dann gab Höß die rührselige Episode von dem Soldaten Bruno zum Besten, wobei er immer lauter wurde, bis er, wenn zum Schluss der berühmte Ausspruch »Verscharrt dieses Aas!« kam, schrie wie Dietmar Kehlmann auf der Bühne des Berliner Theaters. Soweit Doktor Voigt wusste, hatte Höß die Geschichte schon zwanzig Mal erzählt und stets mit diesem Gebrüll am Ende.
    »Meine Eltern, glühende Katholiken in einem lutheranisch, wenn nicht gar calvinistisch geprägten Deutschland, hatten sich gewünscht, dass ich Geistlicher würde. Und tatsächlich habe ich eine Zeitlang mit dem Gedanken gespielt.«
    Elender Dummschwätzer.
    »Sie hätten einen guten Priester abgegeben, Herr Obersturmbannführer.«
    »Ich denke schon.«
    Wichtigtuer.
    »Da bin ich mir ganz sicher. Was immer Sie machen, machen Sie gut.«
    »Was Sie als eine Tugend loben, könnte ebenso gut mein Verderben sein. Vor allem jetzt, da der Besuch von Reichsführer Himmler ansteht.«
    »Weshalb?«
    »Weil ich mich als Lagerleiter für alle Mängel des Systems verantwortlich fühle. Beispielsweise ist von der letzten Zyklonlieferung nur noch Gas für zwei, höchstens drei Chargen übrig, und der Lagerverwalter hat mir weder Bescheid gegeben noch nachbestellt. Und schon muss ich Gefälligkeiten erbitten, Lastwagen herbeordern, die womöglich an anderer Stelle gebraucht

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