Das Schweigen des Sammlers
Gotteslehre einen Namen gemacht. Dank seines frommen Eifers durfte er bald im katalanischen Hoheitsgebiet und im Königreich Valencia die Inquisition leiten und mit eiserner Hand gegen die Übel der Ketzerei vorgehen. Nicolau Eimeric war am 25. November 1900 in Baden-Baden geboren, hatte es ziemlich schnell zum SS-Obersturmbannführer gebracht und war nach einer ersten glorreichen Etappe als Lagerkommandant von Auschwitz zur Lösung des ungarischen Problems 1944 wieder dorthin abkommandiert worden. In einer offiziellen Verlautbarung verdammte er das Buch Philosophia amoris des rebellischen Ramon Lull, eines Katalanen aus dem Königreich Mallorca, als abscheuliche Häresie. Und ebenso erklärte er all diejenigen zu Ketzern, die in Valencia, Alcoi, Barcelona und Saragossa, in Alcanyis, Montpellier oder irgendeinem anderen Ort die teuflische, verderbenbringende Lehre des Ramon Llull lasen, verbreiteten oder dachten. Unterzeichnet heute, am dreizehnten Tag des Monats Juli im Jahre 1367 in der Stadt Girona.
»Fahrt fort. Mein Fieber steigt schon wieder, und ich möchte mich nicht hinlegen, bevor …«
»Ihr könnt Euch beruhigt zurückziehen, Exzellenz.«
Fra Nicolau wischte sich den vor Hitze und Fieber strömenden Schweiß von der Stirn, sah zu, wie sein junger Sekretär Fra Miquel de Susqueda mit seiner wunderbar klaren Handschrift die Verurteilungsurkunde fertigstellte, trat hinaus in die Sonnenglut und tauchte kurz darauf atemlos in dieDunkelheit der kaum weniger stickigen Kapelle der heiligen Agathe ein. Dort kniete er nieder, senkte vor dem Allerheiligsten demütig das Haupt und betete, o Herr, gib mir Kraft, damit ich in meiner menschlichen Schwäche nicht strauchele; gib, dass ich angesichts von Verleumdungen, Gerede, Neid und Lügen nicht verzage. Nun erdreistet sich selbst der König, mein Eintreten für den wahren und einzigen Glauben zu kritisieren, o Herr. Gib mir Kraft für meinen Dienst an Dir, damit ich auch weiterhin dafür sorgen kann, dass Deine Wahrheit strikt befolgt wird. Nach dem Amen, das klang wie ein gedankenschwerer Seufzer, verharrte Fra Nicolau, ohne zu denken, in direkter Verbindung mit dem Herrn der Wahrheit, noch so lange auf Knien, bis die sinkende Sonne die Hügelkette im Westen berührte.
Als das Licht hinter den Kirchenfenstern zu schwinden begann, verließ Fra Nicolau federnden Schrittes, wie er gekommen war, die Kapelle. Draußen atmete er tief den Geruch nach Thymian und Heu ein, der von der nach dem heißesten Tag seit Menschengedenken immer noch erhitzten Erde aufstieg. Wieder wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Er ging auf das graue Steingebäude am Ende des Pfads zu, musste aber am Eingang seine Ungeduld zügeln, weil diese Frau – immer diese Frau – in Begleitung ihres Mannes, des Scheelen aus Salt, mühsam einen mannsgroßen Sack Rüben in den Palast schleppte.
»Müssen die beiden ausgerechnet diese Tür benutzen?«, fragte er ungehalten Fra Miquel, der ihm entgegengekommen war.
»Die Tür zum Gemüsegarten ist versperrt, Exzellenz.«
Nicolau Eimeric fragte schroff, ob alles bereit sei, und während er mit langen Schritten zum Verhörraum lief, dachte er, o Herr, Tag und Nacht kämpfe ich mit all meinen Kräften für Deine Wahrheit. Gib mir auch weiterhin Kraft, denn am Ende werden nicht die Menschen mich richten, sondern Du.
Ich bin ein toter Mann, dachte Josep Xarom. Er konnte dem schwarzen Blick des teuflischen Inquisitors nicht standhalten,der in den Raum gestürmt war, ihm seine Frage entgegengeschrien hatte und nun ungeduldig auf eine Antwort wartete.
»Welche Hostien?«, fragte Doktor Xarom nach einer langen Pause mit angsterstickter Stimme.
Der Inquisitor erhob sich, trocknete sich zum dritten Mal, seit er den Verhörraum betreten hatte, den Schweiß von der Stirn und fragte dann noch einmal, wie viel hast du Jaume Malla für die geweihten Hostien bezahlt?
»Ich weiß nichts davon. Ich kenne keinen Jaume Malla. Und ich weiß nicht, was Hostien sind.«
»Das heißt also, du betrachtest dich als Juden.«
»Nun … Ich bin Jude, Exzellenz, das wisst Ihr doch. Meine Familie steht, wie alle Familien im Ghetto, unter dem Schutz des Königs.«
»Innerhalb dieser vier Wände steht man einzig unter Gottes Schutz. Vergiss das nie.«
O Adonai, wo bist du jetzt, da ich dich suche, dachte der ehrwürdige Doktor Josep Xarom und wusste zugleich, dass er sich mit diesem Zweifel gegen Gott versündigte.
Eine geschlagene Stunde lang mühte sich Fra Nicolau
Weitere Kostenlose Bücher