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Das Schweigen des Sammlers

Das Schweigen des Sammlers

Titel: Das Schweigen des Sammlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jaume Cabré
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beharrt, macht Ihr Euch schwersten Ungehorsams schuldig.«
    Zitternd vor Furcht senkte Fra Miquel den Kopf, und ihn befiel eine höllische Angst, als er hörte, wie sein Oberhauptnoch hinzusetzte, mir scheint allmählich, dass Ihr Euch tatsächlich der Laxheit schuldig macht, aber nicht allein aus Schwäche, sondern aus Nachsicht mit den Häretikern.
    »Um der Liebe Gottes willen, Exzellenz!«
    »Ihr sollt den Namen des Herrn nicht missbrauchen. Und lasst Euch gesagt sein, dass ich weiß, dass die Schwäche Euch zum Verräter und Feind der Wahrheit macht.«
    Fra Nicolau schlug die Hände vors Gesicht und sprach ein langes, inbrünstiges Gebet. Aus den Tiefen seiner Versenkung heraus drang eine dumpfe Stimme, die sagte, wir sind das einzige Auge, das über die Sünde wacht, wir sind die Hüter der Orthodoxie, Fra Miquel, wir haben und sind die Wahrheit. Und mag uns die dem Ketzer auferlegte Strafe auch noch so hart erscheinen – ganz gleich, ob sie seinen Körper trifft oder seine Schriften, wie im Fall des abscheulichen Llull, den ich zu meinem Bedauern nicht auf den Scheiterhaufen habe bringen können –, denkt daran: Wir vertreten Recht und Gerechtigkeit, und das ist keineswegs eine Schande, sondern ganz im Gegenteil ein großes Verdienst. Außerdem erinnere ich Euch daran, dass wir nur Gott Rechenschaft schuldig sind und nicht den Menschen. Und wenn schon jene selig sind, Fra Miquel, die da hungert und dürstet nach Gerechtigkeit, wie viel mehr gilt das dann für diejenigen, die das Recht anwenden, nochdazu, wenn man bedenkt, dass unsere Mission ausdrücklich von unserem geliebten Führer ersonnen wurde, der weiß, dass er sich voll und ganz auf die Integrität, die Vaterlandsliebe und die seelische Stärke seiner SS-Leute verlassen kann. Oder zweifelt vielleicht einer von euch an den Plänen des Führers? Er schritt vor ihnen auf und ab und sah jeden einzelnen herrisch und herausfordernd an, schweigend. Oder zweifelt vielleicht einer von euch an der Entscheidungskraft unseres Reichsführers Himmler? Was werdet ihr ihm sagen, wenn er übermorgen hier ankommt? Und nach einer langen, dramatischen Pause: »Verscharrt dieses Aas!«
    Sie tranken noch zwei Gläser Wein oder vielleicht auch vier oder fünf, und er erzählte noch mehr, woran er sich später nicht genau erinnerte, beflügelt von der Begeisterung,in die ihn die Erinnerung an diese heroische Szene versetzt hatte.
    Als Rudolf Höß die Wohnung von Doktor Voigt verließ, war ihm leichter ums Herz und ein wenig übel. Ihn beunruhigte nicht etwa die Hölle von Birkenau, sondern die menschliche Schwäche. Mochten die Männer und Frauen auch noch so heilige Eide geschworen haben, sie ertrugen es nicht, ständig den Tod vor Augen zu haben. Ihre Seelen waren nicht aus Stahl, und so machten sie häufig Fehler, und es gab nichts Schlimmeres, als eine einmal getane Sache noch einmal tun zu müssen, weil … Nun ja, es war ekelhaft. Zum Glück hatte er kein Wort über diese Frau verloren. Und ich merkte, dass ich, ohne es zu wollen, aus den Augenwinkeln heraus Kornelia beobachtete, ob sie einen anderen Besucher anlächelte oder … Ich will kein eifersüchtiger Kerl sein, dachte ich. Aber sie ist nun mal eine, die … Jetzt! Endlich waren zehn Leute beisammen, und die Führung konnte beginnen. Der Fremdenführer betrat den Kreuzgang und sagte, das Kloster von Bebenhausen, das wir nun besichtigen werden, wurde im Jahre 1180 von Rudolf I. von Tübingen gegründet und 1806 säkularisiert. Ich hielt Ausschau nach Kornelia und sah sie neben einem gutaussehenden jungen Kerl stehen, der sie anlächelte. Und sie sah endlich zu mir herüber, und es war kalt in Bebenhausen. Was heißt säkularisiert?, fragte ein gedrungener, glatzköpfiger Mann.
    In dieser Nacht vollzogen Rudolf und Hedwig Höß die Ehe nicht. Ihm ging zu viel im Kopf herum, und er musste ständig an das Gespräch mit Doktor Voigt denken. Und wenn er zu viel geredet hatte? Wenn das dritte oder vierte oder siebte Glas ihn dazu verleitet hatte, Dinge zu sagen, die er nie hätte sagen dürfen? Sein Bestreben, alles perfekt zu organisieren, war während der letzten Wochen an den ungeheuren Fehlern seiner Untergebenen gescheitert, und er konnte auf keinen Fall – auf gar keinen Fall – zulassen, dass Reichsführer Himmler auf den Gedanken kam, er sei seiner Aufgabe nicht gewachsen, denn das Ganze begann schon, als ich, geleitetvon meinem bedingungslosen Glauben an die Befehle des Führers, in den Predigerorden

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